Dr. med. Dr. jur. Martin Siebert, 59, Vorsitzender der Geschäftsführung der PARACELSUS KLINIKEN Deutschland

Welche Ihrer Vorzüge werden verkannt?
Mal diese, mal jene. Aber das kennt wahrscheinlich jeder. Ein Beispiel: Legt man ein hohes Sanierungstempo vor, weil einer Klinik das Wasser bis zum Hals steht, gilt man schnell als herzlos. Rät man bei strategischen Entscheidungen aus gutem Grund dazu, einen längeren Atem einzuplanen, wird das schon mal als Unentschlossenheit interpretiert. Dieses „Missverständnis“ ist ein permanentes Berufsrisiko. Insoweit werden tatsächliche Vorzüge immer mal wieder in vermeintliche Nachteile umgedeutet. Und umgekehrt. Man sollte also niemals überrascht sein, wenn Fremd- und Selbstwahrnehmung gelegentlich auseinanderfallen.
Was war Ihre größte Fehlentscheidung und was haben Sie daraus gelernt? Die eine große Fehlentscheidung? – Ich weiß nicht. Kann ich nicht nennen. Ich gebe aber zu, dass auch nicht alle Entscheidungen, die ich zu treffen hatte, richtig waren. Das ist übrigens oft das Dilemma; häufig gibt es für die Lösung eines Problems nicht den einen zweifelsfreien Weg. Erfahrung, Intelligenz, Risikobewusstsein, Wagemut, Vertrauen sind dann gefragt. Gut beraten ist, wer sich in schwieriger Lage überhaupt mit Optionen auseinandersetzen kann – und dann geschickt genug ist, die eine zu wählen, die maximalen Erfolg nicht nur verspricht. Aber der Prozess übt ungemein. Richtig ist, dass man aus Beidem lernt: Aus seinen Erfolgen wie auch aus etwaigen Misserfolgen.
Welches politische Projekt sollte schnell umgesetzt werden?
Man sollte von der Politik keine Wunder erwarten; daher sind meine Erwartungen per se nicht so hoch. Hinzu kommt: In der Krankenhausbranche mangelt es nicht an gesundheitspolitischen Projekten, insbesondere solchen, die scheinbar gut gemeint sind, im Ergebnis aber die Krise dann noch verschärfen. Insoweit wäre man manchmal schon froh, wenn überhaupt verlässliche Rahmenbedingungen existieren würden – und dann auch für einen längeren Zeitraum Bestand hätten. Wünschenswert könnte es daher eher sein, wenn das nächste oder übernächste gesundheitspolitische Projekt, von dem sowieso kein Segen zu erwarten ist, nicht so schnell oder idealerweise überhaupt nicht umgesetzt werden würde.
Was ertragen Sie nur mit Humor?
Unsere Branche ist vielfältigen Interessen und Einflüssen ausgesetzt; sie wird noch dazu von durchaus eigenen Moden, Persönlichkeiten, öffentlichen Stimmungen und einem permanenten Aktionismus geprägt. Daher denkt man manchmal, es könne eigentlich nicht noch schlimmer kommen. Aber genau dann geschieht es! Dann sieht man sich vor der Wahl: Zweifelt man an seinem Verstand, rauft man sich die Haare, beißt man die Zähne zusammen, meckert man herum – oder schüttelt man sich einfach bloß – und weiter geht’s!? – Jedenfalls scheint Resignation keine Option zu sein. Insoweit lässt sich Vieles in unserer Branche mit einem gewissen, selbstverständlich immer angemessenen Humor, einfach viel besser ertragen.
Wie können Sie am besten Stress abbauen?
Ich bin Stress gewohnt. Insoweit gehöre ich womöglich zu den Menschen, denen es durchaus gefällt, wenn sich ein gewisser Stress aufbaut. Ich kenne auch viele Kollegen, die brauchen geradezu die Kakophonie der Anforderungen, um überhaupt auf Betriebstemperatur zu kommen. Man nennt das positiven Stress oder Eustress. Aber Vorsicht: Die Grenze zum negativen Stress wird leicht überschritten; dieser lässt für mich jedenfalls immer dann nach, wenn sich trotz aller täglichen Calls, Mails, Chats usw. ein paar Probleme tatsächlich bewältigen, also erledigen ließen. „Haken dran“ – lautet die Devise. Heißt: Probleme nicht andauernd bebrüten, sondern überwinden. Das bringt wahre Entspannung…
Quelle: KU Gesundheitsmanagement 03/2020