Nach weitreichenden Diskussionen über die Praxis der Organspende hat der Bundestag die Widerspruchslösung am 6. Januar 2020 abgelehnt und den Gesetzesentwurf zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ beschlossen.

Organtransplantationen gehören heute zum Standard der medizinischen Versorgung und können das Leben vieler schwerkranker Menschen retten oder deren Lebensqualität verbessern. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland 932 postmortale Organspender. Mit einer durchschnittlichen Rate von 11,2 Spendern pro einer Million Einwohnern bildet Deutschland jedoch weiterhin eines der Schlusslichter im internationalen Vergleich. Ein Grund für die geringe Spendenbereitschaft der Bevölkerung ist der Organspendenskandal im Sommer 2012, bei dem Daten an mehreren Kliniken manipuliert wurden, um Patienten bei der Vergabe von Spenderorganen zu bevorzugen. Seitdem ist die Zahl der Organspender stetig gesunken. Obwohl sich die Organspenderzahlen nach dem absoluten Tiefstand im Jahr 2017 wieder erholt haben,warten derzeit mehr als 9.000 Menschen auf ein Spenderorgan.
Seit dem 1. November 2012 gilt in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung. Voraussetzung für eine Organentnahme nach dem Tod ist demnach die Einwilligung des möglichen Organspenders zu Lebzeiten oder die stellvertretende Zustimmung des nächsten Angehörigen. Um eine sichere Entscheidung für oder gegen die Organspende treffen zu können, werden die Bürger regelmäßig mit neutralen und ergebnisoffenen Informationen versorgt. Die Pflicht eine Entscheidung zu treffen, besteht nicht.
Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2018 zeigen, dass die positive Einstellung zum Thema Organ- und Gewebespende in Deutschland mit derzeit 84 Prozent so hoch ist, wie nie zuvor. Dennoch liegt der Anteil der Bürger, die eine Entscheidung für oder gegen die Organspende getroffen haben, bei nur 56 Prozent. 43 Prozent der Personen, die noch keine Entscheidung getroffen haben, begründen dies damit, sich bisher zu wenig mit der Thematik beschäftigt zu haben. Lediglich 39 Prozent haben ihre Entscheidung schriftlich dokumentiert. Daraus resultiert, dass im klinischen Alltag fast 70 Prozent der Entscheidungen gegen eine Organspende auf Basis der Angehörigen oder des vermuteten Willens getroffen werden.
Der Blick auf andere Staaten zeigt: In Europa überwiegt die Widerspruchslösung. Dabei ist jeder Bürger, der nicht ausdrücklich widerspricht, gleichzeitig ein potenzieller Organspender. Auf diese Weise können die Spenderquoten deutlich erhöht werden, wie Länder wie Spanien oder Kroatien zeigen. Auch Deutschland hat angesichts der Zahlen der Befragung der BZgA und des spürbaren Mangels an Spenderorganen die Diskussion über die Einführung einer Widerspruchslösung erneut entfacht. Befürworter wie Jens Spahn oder Dr. Karl Lauterbach sehen dies als Möglichkeit die Personen einzubeziehen, die zwar einer Organspende gegenüber positiv eingestellt sind, ihre eigene Entscheidung aber noch nicht schriftlich festgehalten haben. So soll mehr schwerkranken Menschen eine lebensrettende Organtransplantation ermöglicht werden. Gegner sehen die Widerspruchslösung als Vertrauensbruch und einen unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Nach weitreichenden Diskussionen über die Praxis der Organspende hat der Bundestag die Widerspruchslösung am 6. Januar 2020 abgelehnt und den Gesetzesentwurf zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ beschlossen. Das Gesetz zielt darauf ab den Bürger, unter Wahrung der Selbstbestimmung, in seiner Entscheidung zu unterstützen. Inhalte sind die regelmäßige Befragung über die Bereitschaft zur Organspende nach dem eigenen Tod sowie die Ermunterung zu einer schriftlichen Dokumentation durch den Hausarzt. Um die Hürde der Dokumentation zu nehmen, sieht das Gesetz außerdem vor, bundesweite Online-Register einzuführen. Den Bürgern soll somit ermöglicht werden, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren und jederzeit ändern oder widerrufen zu können. Das Gesetz wird voraussichtlich im ersten Quartal 2022 in Kraft treten.
Kontakt zum Autor: Stefan Friedrich, Partner Gesundheitswirtschaft, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sfriedrich@kpmg.com
Quelle: KU Gesundheitsmanagement 07/2020