Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

Bis Mitte Dezember 2021 muss die Bundesregierung eine EU-Richtlinie umsetzen, die den Schutz von Hinweisgebern bewirkt. Die Richtlinie bezieht sich nur auf Verstöße gegen EU-Recht in einer beschränkten Zahl von Bereichen, z.B. Umweltschutz, Verbraucherschutz oder Finanzdienstleistungen. Doch schon werden Stimmen laut, die verlangen, den Schutz von Hinweisgebern viel weiter auszudehnen. Es wird gefordert, dass es einen umfassenden Hinweisgeberschutz geben müsse.
Neue DIN-Norm soll kommen
Parallel hierzu hat nun das Deutsche Institut für Normung (DIN) den Entwurf von Leitlinien für ein Managementsystem zum Whistleblowing veröffentlicht, die DIN ISO 37002. Erst kürzlich hat das DIN den Entwurf einer Richtlinie zu Compliance-Managementsystemen veröffentlicht und deutlich gemacht, dass es davon ausgeht, dass sich daran auch Behörden und Gerichte bei der Beurteilung von Compliancefällen orientieren sollten (vgl. Ettwig, KU-Gesundheitsmanagement, 7/2020, Seite 47). Und nun also die Leitlinie für ein Whistleblower-Managementsystem. Es ist nicht zu übersehen, dass neben dem Gesetzgeber nun auch das DIN spürbar in die aktuelle Compliance-Diskussion eingreift. Und kraft Ihrer Möglichkeit, Leitlinien und sogar Standards zu schaffen, hat die Stimme auch Gewicht.
Weit gefasstes Fehlverhalten
Die Leitlinie fasst den Begriff des Fehlverhaltens, das Hinweisgeber aus einer geschützten Position heraus melden können, sehr weit. Nicht nur klare Verstöße gegen interne und externe Normen, sondern auch zahlreiche andere Umstände können gemeldet werden. Dazu zählen Mobbing und Autoritätsmissbrauch ebenso, wie Misswirtschaft und Verschwendung. Wann diese anzunehmen sind, hängt sehr von der subjektiven Betrachtung des jeweiligen Hinweisgebers ab. Und selbst grobe Fahrlässigkeit soll gemeldet werden können, ohne dass erklärt wird, worauf sich diese bezieht.
Weitreichender Hinweisgeber-Schutz
Im Gegenzug zielt die Leitlinie auf umfassenden Schutz des Hinweisgebers. Das umfasst die Ergreifung „aller vertretbaren Schritte, um weiterem Schaden vorzubeugen“. Hinweisgeber sollen bestärkt werden, Hinweise zu geben. Sollte es zu Benachteiligungen von Hinweisgebern kommen, sind zahlreiche Abhilfemaßnahmen vorgesehen. Dazu zählen z.B. der faire Zugang zu Beförderung und Schulungsangeboten. Aber auch die Entschädigung für erlittenen Schaden wird ausdrücklich genannt.
Leitlinie mit Missbrauchspotenzial
Natürlich ist ein effektives Hinweisgebersystem wichtig. Es liegt im originären Interesse jedes Krankenhauses, Fehlverhalten oder Fehlentwicklungen früh zu erkennen. Es ist einfacher, erkannte Probleme früh selbst zu lösen, als dies getrieben durch Öffentlichkeit, Ermittlungsbehörden usw. tun zu müssen. Frühe Korrekturen beugen darüber hinaus späteren Reputationsschäden vor. Die in der Leitlinie vorgesehene Ausgestaltung geht indes zu weit. Sie ist darauf angelegt, durch echte oder vermeintliche Hinweise die Grundlage zu schaffen, damit Hinweisgeber für sich selbst vorteilhafte Ergebnisse erzielen. Wer z.B. wegen mangelhafter Arbeitsleistungen oder kleinerer Verfehlungen in den Fokus der Krankenhausleitung geraten ist, kann durch geschickte Hinweise dafür sorgen, dass er besonderen arbeitgeberseitigen Schutz erfährt. So wie die Leitlinie angelegt ist, bietet sie also selbst Gelegenheit zum Missbrauch.
Unberücksichtigt bleibt, dass (fahrlässig) zu Unrecht gemachte Hinweise ihrerseits Schäden anrichten bei denjenigen, die davon betroffen sind. Und das widerspricht der Zielsetzung der Leitlinie. Bleibt zu hoffen, dass das noch nicht das letzte Wort vor Inkrafttreten war. Substanzielle Änderungen sind noch erforderlich. Gesetzgeber wie später auch Gerichte sollten erkennen, dass so weitgehender Hinweisgeberschutz kontraproduktiv sein kann.
Autor: Rechtsanwalt Volker Ettwig, Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte mbB, ettwig@tsambikakis.com
Quelle: KU Gesundheitsmanagement 09/2020