Der Risikostrukturausgleich (RSA) wurde zum 1. Januar 1994 mit dem Gesundheitsstrukturgesetz in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) eingeführt. Für die Krankenkassen sollen mit dem RSA möglichst unverzerrte Wettbewerbsbedingungen geschaffen und Anreize für eine unerwünschte Risikoselektion beseitigt werden.
Bis Ende 2008 wurde der Ausgleichsanspruch einer Krankenkasse im Risikostrukturausgleich (RSA) rechentechnisch durch die Gegenüberstellung ihrer Finanzkraft und ihres Beitragsbedarfs ermittelt. Der Beitragsbedarf einer Krankenkasse wird im RSA durch die Morbidität der Versicherten jedoch nur indirekt erfasst, und zwar über die Merkmale Alter, Geschlecht und Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Bei einer höheren Finanzkraft als Beitragsbedarf einer Krankenkasse wurde der überschießende Betrag den Krankenkassen zugeteilt, deren Finanzkraft ihren Beitragsbedarf nicht deckte. Ein wissenschaftliches Gutachten zeigte Anfang 2001, dass der RSA die an ihn gestellten Erwartungen zwar erfülle, zur wirksameren Vermeidung von Risikoselektion jedoch „direkt morbiditätsorientiert“ weiterentwickelt werden sollte. Der Deutsche Bundestag beschloss daher im Jahr 2001 bei der Ermittlung des Beitragsbedarfs einer Kasse neben soziodemografischen Merkmalen der Versicherten künftig auch direkte Krankheitsindikatoren
zu berücksichtigen. Für die Jahre 2002 bis 2008 wurde für Versicherte mit chronischen Erkrankungen, die in zugelassenen strukturierten Disease-Management-Programmen eingeschrieben waren, ein
gesonderter Beitragsbedarf ermittelt.
Seit Januar 2009 ist der RSA Bestandteil des Zuweisungsverfahrens der Finanzmittel aus dem neu errichteten Gesundheitsfonds. Die Beiträge aller GKV-Mitglieder, die in den Fond abgeführt werden, werden auf der Grundlage eines einheitlichen Beitragssatzes
erhoben. Die einheitliche Grundpauschale, die die Kassen je Versicherten zugewiesen bekommen, wird durch Zu- und Abschläge nach Alter, Geschlecht und Morbidität ergänzt. Dabei erhalten Krankenkassen laut Gesetz für Versicherte, die eine von 80 ausgewählten Krankheiten haben, mehr Zuweisungen als für Versicherte, bei denen eine solche kostenintensive oder schwerwiegende Krankheit nicht vorliegt. Dabei ist das Bundesversicherungsamt für die Verwaltung des Gesundheitsfonds sowie die Durchführung des RSA zuständig und wird durch den Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des RSA unterstützt. Dieser Beirat hat im Jahr 2011 einen Bericht zum Jahresausgleich im RSA erstellt, um die Wirkungsweise zu evaluieren. Dem neuen
RSA wird im Vergleich zum Alt-RSA eine deutlich höhere Zielgenauigkeit bei der Ermittlung des Beitragsbedarfs der Krankenkassen bescheinigt. Anfang 2020 wurde das Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb (GKVFKG) beschlossen. Der RSA wird mit
dem Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen und Stärkung der Manipulationsresistenz sowie Präventionsorientierung weiterentwickelt. Deshalb werden eine Regionalkomponente sowie ein Krankheits-Vollmodell eingeführt. Dadurch sollen regionale Über- und Unterdeckungen im Finanzausgleich abgebaut und die Zielgenauigkeit durch das gesamte Krankheitsspektrum erhöht werden. Zusätzlich wird ein Risikopool genutzt und die Präventionsorientierung gestärkt. Hochkostenfälle werden hierdurch abgefedert und eine Vorsorge-Pauschale eingeführt, damit Anreize zur Präventionsförderung gesetzt werden.
Kritik gegenüber des RSA bezieht sich auf Manipulationsanreize, beispielsweise durch das Stellen von zu schweren Diagnosen sowie die Über- und Unterdeckung, falls Krankenkassen deutlich mehr bzw. weniger Geld zur Versorgung der Versicherten erhalten,
als sie tatsächlich benötigen. Mit der Weiterentwicklung des RSA durch das GKV-FKG sollen diese Probleme behoben werden.
Autor: Prof. Dr. Nils Breuer, Partner, Healthcare, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, nilsbreuer@kpmg.com