Über Engpässe und die Risiken einer Triage
Die zweite Corona-Welle bringt eine Diskussion wieder in Gang, die schon im Frühjahr geführt wurde: Was ist, wenn Kapazitäten knapp werden? Damals
fehlten Beatmungsgeräte, jetzt droht eine gefährliche Knappheit an qualifizierten Intensivpflegekräften. Grund genug, sich erneut mit Fragen zur Triage zu befassen.
Während der ersten Welle der Pandemie kamen Sorgen auf, dass die Beatmungsplätze in den Krankenhäusern möglicherweise nicht ausreichen würden, um dem erwarteten Ansturm von COVID-19-Patienten standzuhalten. Dann müsste entschieden werden, wem man einen Beatmungsplatz zugesteht und wem man diesen aus Kapazitätsgründen versagen muss.
Mediziner, Politiker, Juristen und Ethik-Experten diskutierten, welches Vorgehen zu empfehlen sei, um allen Betroffenen gerecht zu werden. Unterdessen förderte der Staat den Ausbau von Behandlungskapazitäten, insbesondere die Einrichtung von Beatmungsplätzen. Heute zu Beginn der „zweiten Welle“ scheinen ausreichende Kapazitäten vorhanden und im internationalen Vergleich sogar wegweisend zu sein. Trotzdem stellen sich die Ausgangsfragen der Triage aufgrund einer Knappheit an anderer Stelle erneut und staatliche Förderung wird dem Problem diesmal nicht kurzfristig abhelfen können: Die Krankenhäuser befürchten nun, dass nicht genügend Intensivpflegekräfte zur Verfügung stehen, um eine plötzlich stark ansteigende Zahl von Patienten zeitgleich zu behandeln.
Rechtliche Risiken für Verantwortliche in den Krankenhäusern werden bereits diskutiert. Von der strafrechtlichen Verfolgung wegen einer Körperverletzung oder gar einer Tötung durch Unterlassen bis hin zu zivilrechtlichen Forderungen ist alles denkbar, wenn die vorhandenen Intensivpflegekapazitäten falsch verteilt werden. Für Ärztinnen und Ärzte drohen darüber hinaus berufsrechtliche Folgen. Diese rechtlichen Risiken bestehen aber nicht nur bei der fehlerhaften Organisation vorhandener Kapazitäten, sondern auch wenn ordnungsgemäß organisierte Stationen begrenzte Behandlungsangebote nach rechtswidrigen Kriterien verteilen. Zwangsläufig werden sich deshalb die verantwortlichen Leitungspersonen mit der drohenden Knappheit befassen müssen.
Bereits im Frühjahr gab es eine medizinische, politische, juristische und ethische Debatte über die Kriterien einer Triage – also einer abgestuften Verteilung vorhandener Kapazitäten. Heiß diskutiert wurden zwei Grund-Konstellationen: In der sog. Ex-ante-Situation müssten wenigstens zwei Patienten behandelt werden, wobei die Kapazitäten aber nicht für alle Patienten ausreichen. Dann wäre zu entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht – obwohl alle behandelt werden müssten. In der sog. Ex-post-Situation befinden sich Patienten bereits in Behandlung. Dann treffen weitere behandlungsbedürftige Patienten ein, für die aber keine ausreichenden Kapazitäten mehr vorhanden sind. Es wäre zu entscheiden, ob die Behandlung von bereits aufgenommenen Patienten zugunsten anderer Patienten abgebrochen wird, etwa weil die Behandlung und der damit verbundene Einsatz medizinischer Ressourcen bei dem später eingetroffenen Patienten einen deutlich größeren Erfolg verspricht.
Noch ist nicht abschließend geklärt, nach welchen Maßstäben solche Triage-Situationen zu entscheiden sind. Bundesregierung und Gesetzgeber haben es bisher abgelehnt, (gesetzliche) Vorgaben zumachen und lassen die handelnden Verantwortlichen mit der Entscheidung letztlich allein. Doch Ärztinnen und Ärzte brauchen Rechtssicherheit.
Unseres Erachtens ist es stets rechtmäßig, wenn die Behandlung von Patienten trotz medizinischer Indikation von vornherein nicht begonnen wird, weil die Behandlung anderer Patienten mit gleicher oder besserer medizinischer Erfolgsaussicht alle verfügbaren Kapazitäten beansprucht. Dasselbe gilt, wenn bei Patienten intensivmedizinische Behandlungen abgebrochen werden, um stattdessen andere Patienten zu behandeln, bei denen die klinische Erfolgsaussicht evident besser ist. Für die Triage enthalten die klinisch ethischen Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften grundsätzlich valide Entscheidungskriterien und Prozeduren. Werden diese beachtet, sind strafrechtliche und zivilrechtliche Haftungsfolgen regelmäßig ausgeschlossen, wenn zusätzlich eine eventuell mögliche Verlegung von Patienten in andere Krankenhäuser erwogen wurde.
Die Geschäftsleitung sollte ihre Ärztinnen und Ärzte frühzeitig für die Problematik sensibilisieren und festlegen, wie im Ernstfall verfahren werden soll. Diese Handlungsempfehlungen können frühzeitig rechtlich geprüft werden. So schafft man Rechtssicherheit für alle Beteiligten, die der Gesetzgeber leider schuldig geblieben ist. Die Geschäftsleitung sollte darüber hinaus dafür sorgen, dass allen Ärztinnen und Ärzten die erforderlichen Fachinformationen und Checklisten jederzeit zur Verfügung stehen. Sind diese Aufgaben erledigt, können sich die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal auf Ihre Kernaufgabe konzentrieren – die medizinische Behandlung.
Autoren: Prof. Dr.Michael Tsambikakis. Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Medizinrecht und Volker Ettwig, Rechtsanwalt, Certified Compliance Expert beide bei Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte mbB in Köln bzw. Berlin, info@tsambikakis.com