Nahezu 80 Millionen mehrseitige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) werden jährlich ausgestellt. Das entspricht 320 Millionen bedruckten Zetteln oder einer Fläche von ca. 1.200 Fußballfeldern die abgeschafft und durch die elektronische AU ersetzt werden können.

Die Telematikinfrastruktur (TI) stellt mit allen technischen und organisatorischen Anteilen die Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur
des deutschen Gesundheitswesens dar. Verantwortlich für ihre Bereitstellung ist die gematik GmbH, deren Hauptanteilseigner das Bundesministerium
für Gesundheit ist.
Das GKV-Modernisierungsgesetz verankert seit dem Jahr 2004 die TI und die elektronische Gesundheitskarte durch § 291 im SGB V. Das EHealth-Gesetz konkretisiert seit dem Jahr 2015 die Anwendungen. Seit dem1. Juli 2019 müssen alle Vertragsärztinnen und Vertragsärzte an die TI angeschlossen sein und das sogenannte Versichertendaten-Management umsetzen, seit September 2020 auch Apotheken und ab dem Jahr 2021 ebenfalls Krankenhäuser. Andere Leistungserbringer werden auf freiwilliger Basis ab dem 1. Juli 2021 angeschlossen. Die AOKPlus ist nach eigenen Angaben die erste Krankenkasse in Deutschland, bei der für Therapeutinnen und Therapeuten bereits eine elektronische Übermittlung von Behandlungsberichten an Ärztinnen und Ärzte möglich ist.
Die Nutzung der TI erfordert einiges an Ausstattung: Kartenterminal, Konnektor, elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) und elektronischen Praxisausweis (SMC-B-Karte). Der Konnektor ermöglicht dabei
den Zugang zur TI. Er wird im Jahr 2021 zum E-Health-Konnektor, der die qualifizierte, elektronische Signatur (QES) ermöglicht. Diese wird wiederum für den Notfalldatensatz und den elektronischen Arztbrief
benötigt.
Die TI ermöglicht und unterstützt Anwendungen gemäß § 291a SGB V verpflichtende, wie das Versichertenstammdaten-Management, das elektronische Rezept (eRezept) und das Angebot der elektronischen Patientenakte (ePA) sowie freiwillige, wie das Notfalldaten-Management (NFDM) und den elektronischen Medikationsplan.
Das NFDM besteht aus den zwei freiwilligen Anwendungen „Notfalldatensatz“ und „Datensatz persönliche Erklärungen“ (Organspendeausweis, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht) für Informationen
in Notfallsituationen. Der Zugriff ist dabei geschützt, reglementiert und wird protokolliert. Inhalte werden qualifiziert signiert.
Die ePA müssen Krankenkassen ihren Versicherten ab dem 1. Januar 2021 zur Verfügung stellen. Patientinnen und Patienten verwalten selbst und entscheiden über Inhalte und Zugriffsrechte. Für Krankenhäuser ergeben sich daraus neue organisatorische Herausforderungen. Vollständig digitalisiert wird auch die Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die Einführung wurde im Patientendaten-Schutz-Gesetz verbindlich festgesetzt: Das eRezept muss ab dem 1. Januar 2022 von allen Vertragsärztinnen und -ärzten genutzt und mittels QES erstellt werden. Die Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln oder häuslicher Krankenpflege erfolgen zukünftig ebenfalls elektronisch.
Entsprechend einer Umfrage unter über 2.000 Praxen kommunizieren aktuell noch ca. 85% untereinander bzw. 93% mit Krankenhäusern papiergebunden. Ärztinnen und Ärzte erhoffen sich von der Digitalisierung eine deutlich verbesserte Kommunikation. Seit Juli 2020 ist KIM (Kommunikation im Medizinwesen) von der gematik als erster Fachdienst für den Informationsaustausch zugelassen. Dieser ermöglicht den Versand von Dokumenten und ist in Verbindung mit dem eHBA Voraussetzung für die eAU. Ab dem 1. Oktober 2021 müssen sowohl Vertragsärztinnen und -ärzte als auch Krankenhäuser diese
eAU verpflichtend umsetzen. Zunächst erfolgt die elektronische Übermittlung an die Krankenkasse und anschließend durch diese an den Arbeitgeber, so dass nur Patientinnen und Patienten bei Bedarf noch eine einfache Ausfertigung erhalten. Nach vorne geschaut bleiben die Gewährleistung der IT-Sicherheit und des Datenschutzes sowie die Schaffung alltagstauglicher, technischer Lösungen bestehende Herausforderungen.
Autor: Stefan Friedrich, Partner, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sfriedrich@kpmg.com