Krankenhäuser in verschiedenen Regionen kommen inzwischen an ihre Aufnahmegrenzen. Doch wann ist das deutsche Gesundheitssystem tatsächlich überlastet? – eine These.
Ein wichtiger Grund für die Durchführung der seit März dieses Jahres andauernden Corona-Maßnahmen ist die Vermeidung einer Situation, in der unser Gesundheitssystem durch zu viele COVID-19-Erkrankungen mit schwerem Verlauf überlastet wäre. Hier soll die These verfolgt werden, dass das deutsche Gesundheitssystem spätestens dann infolge von COVID-19-Erkrankungen überlastet ist, wenn die Anzahl der gleichzeitig schwer erkrankten, stationär intensiv zu versorgenden Patienten höher ist als die vorhandene relevante intensivmedizinische Behandlungskapazität.
Bei diesem Ansatz ist zunächst zu ermitteln, wie hoch die relevante intensivmedizinische Behandlungskapazität ist. Vom DIVI Intensivregister wurden gemäß Tagesreport vom 9. Dezember 2020 in Deutschland 12.053 High-Care intensivmedizinische (ITS) Behandlungsplätze ausgewiesen. Das sind ITS Behandlungsplätze, die eine kontrollierte invasive Beatmung mittels Intensivbeatmungsgeräten rund um die Uhr ermöglichen.
Von diesen High-Care ITS Behandlungsplätzen waren am 9. Dezember 2020 8.387 belegt und 3.666 frei. Am gleichen Tag gab es 2.521 COVID-19-Fälle, die invasiv beatmet werden mussten. Hier soll die Annahme getroffen werden, dass diese Fälle in den Fällen enthalten sind, die High-Care ITS Behandlungsplätze belegen. Weiter soll die Annahme getroffen werden, dass im Fall einer grenzwertigen Belastung des Gesundheitssystems mit COVID-19-Fällen, die invasiv beatmet werden müssen, hierfür zumindest alle derzeit noch freien High-Care ITS Behandlungsplätze und alle derzeit schon mit COVID-19-Patienten belegten Plätze für COVID-19-Patienten, die invasiv beatmet werden müssen, bereit stehen.
Am 9. Dezember 2020 hätten wir auf der Grundlage dieser Überlegungen in Deutschland insgesamt 6.187 High-Care ITS Behandlungsplätze für die Behandlung von COVID-19-Fällen verfügbar, davon sind an diesem Tag 2.521 belegt. Wir hätten also zum 9. Dezember 2020 eine Auslastung der relevanten intensivmedizinischen Behandlungskapazität in Bezug auf COVID-19-Patienten, die invasiv beatmet werden müssen von 40,7 %. Zu berücksichtigen ist, dass dies eine Stichtagsbetrachtung ist. So hat sich die Anzahl der COVID-19-Patienten, die invasiv beatmet werden müssen, innerhalb eines Monats um etwa 45 % erhöht. Im gleichen Zeitraum hat sich die Anzahl der High-Care ITS Behandlungsplätze, die für die Behandlung von COVID-19-Fällen verfügbar sind, um fast 15 % reduziert.
Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich auf das deutsche Gesundheitssystem als Ganzes; die regionale Situation kann sich bedeutend anders darstellen. Die Betrachtung ist modellhaft. Ein wesentliches Risiko ist, dass es aus Gründen des Personalmangels in den Krankenhäusern zur weiteren Reduzierung der relevanten intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten kommen könnte.
Die Betrachtungen zeigen deutlich, wie wichtig bei einer solchen Pandemie neben einer guten Strategie zur Vermeidung von schweren Erkrankungen die Vorhaltung flächendeckend ausreichender intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten ist. Deutschland ist hier im europäischen Vergleich sehr gut aufgestellt. Während gemäß einer Studie aus dem Jahr 2012 die europäischen Länder im Durchschnitt bei 11,5 Intensivbetten je 100.000 Einwohner vorhielten, lag der Wert in Deutschland an der Spitze mit 29,2. Bis heute ist die Anzahl der Intensivbetten in Deutschland noch deutlich ausgebaut worden. Die Betrachtungen zeigen aber auch, dass selbst ein Land mit einer sehr guten intensivmedizinischen Ausstattung bei einem zu schnellen Anstieg von schweren Erkrankungen an die Grenze der Belastbarkeit kommen kann.
Autor: Prof. Dr. Volker Penter, Partner, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
erschienen in KU Gesundheitsmanagement 01/2021