Abkehr von der Bettenorientierung, Bündelung komplexer Leistungen und Krankenhausschließungen – Unser Fachbeirat Dr. Nicolas Krämer hat die heiß diskutierten Themen auf dem Kongress zusammengefasst. Alles unter der Frage: Wie sieht die Zukunft der Gesundheitsversorgung aus?

Köln, 8. September 2021 – Zwei Tage wurde intensiv gesundheitspolitisch diskutiert. Das Motto des diesjährigen Gesundheitskongresses des Westens, der coronabedingt mit limitierter Teilnehmerzahl vor Ort sowie digital stattfand, lautete „System am Limit – Wie sieht der Weg in die Zukunft aus?“. In vielen Veranstaltungen und beim Networking zwischen den Vorträgen wurden Gestaltungswege für die künftige Entwicklung des Gesundheitswesens aufgezeigt und diskutiert.
Abkehr von der Bettenorientierung in der neuen Krankenhausplanung NRW
In der Eröffnungsveranstaltung kritisierte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die bisherige Krankenhausplanung in seinem Bundesland: „Eigentlich haben wir gar keine und haben in den letzten Jahrzehnten nie eine gehabt.“ Das Feilschen um jedes Krankenhausbett sei zu einer unendlichen Geschichte geworden. „Das ist Anarchie, was wir in diesem Bereich erleben“, so der Minister. „Deswegen werden riesige Geldsummen und personelle Ressourcen fehlgeleitet.“ Laumann warb stattdessen für den neuen Landeskrankenhausplan, der zurzeit in die parlamentarische Phase geht und Anfang nächsten Jahres umgesetzt werden soll. Grundlage der Planung soll nicht mehr das Krankenhausbett, sondern medizinische Leistungsbereiche sein. Zugleich warnte er vor dem Scheitern des neuen Ansatzes. „Wenn die Krankenhausplanung scheitert, wird das Land keine Planung mehr machen. Dann wird der G-BA das an sich ziehen“, ist er überzeugt. „Und wenn ich sehe, was die in der Notfallversorgung gemacht haben, kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen.“ Anders als der G-BA seien Landesregierungen demokratisch legitimiert und könnten zudem Rücksicht auf die Unterschiede in den Regionen nehmen und damit eine wirklich gute Versorgung sicherstellen.
Hecken und Spahn sprechen sich für Spezialisierung aus
Der G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken („Karl-Josef Laumann gehört zum Club der Freunde des G-BA.“) glaubt nicht an eine vom G-BA gesteuerte Krankenhausplanung. Denn dazu sei eine Änderung des Grundgesetzes nötig. „Das werden die Bundesländer nicht mitmachen. Klappe zu, Affe tot“, sagte er in seinem Vortrag zur künftigen Rolle des G-BA. Jedoch könnte er sich vorstellen, dass der G-BA in Zukunft strukturelle Vorgaben macht und die Bundesländer auf der Basis dieser Kriterien entscheiden, wo sie welche Leistungen allokieren. Wenn man eine Grundversorgung in der Fläche haben und elektive komplexe Leistungen an Zentren bündeln will, müssten allerdings alternative Finanzierungsinstrumente entwickelt werden. Nur so könnten kleine Standorte am Leben bleiben und müssten nicht mit elektiven Leistungen in die Menge gehen. Derzeit, so Hecken, käme es zu einer kalten Strukturbereinigung, wobei Häuser schließen müssten, die man dringend bräuchte. „Das kann nicht das Modell der Zukunft sein“, sagte er. Die Bündelung komplexer Leistungen an Zentren löse zudem ein wesentliches Problem des deutschen Krankenhauswesens: den Fachkräftemangel.
Dass eine bedarfsgerechte Krankenhausstruktur in Deutschland bislang fehle, betonte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. In seinem digitalen Exklusivinterview mit dem neuen Kongresspräsidenten Prof. Karl Max Einhäupl („Es geht nicht um die Finanzierbarkeit, es geht um Qualität.“) machte er deutlich, dass er nicht an ein schnelles Ende der DRG-Fallpauschalen glaubt. Auf die Einwände der DRG-Kritiker, die gerne als Beispiel die Feuerwehr nennen, bei der Vorhaltekosten unabhängig von den erbrachten Leistungen finanziert werden, entgegnete Spahn: „Ich habe noch nie zwei Feuerwehrwachen nebeneinander gesehen.“ Vielmehr sei bei der Feuerwehr klar geregelt, wer in welchem Fall was macht. „Das haben wir in der Krankenhauslandschaft nicht.“ Nach Überzeugung Spahns müsse geklärt werden, wer welche Leistung erbringt. Er wandte sich gegen das in Deutschland immer noch weit verbreitete Motto „Nähe vor Qualität“ und die damit verbundene Gelegenheitschirurgie. „Ich möchte in diesem Land nicht mehr sehen, dass ein Krankenhaus zehn Prostata-Operationen im Jahr macht“, machte der Minister deutlich. „Das ist Patientengefährdung.“
Renommierter Gesundheitsökonom plädiert für Krankenhausschließungen
„Weniger ist mehr und besser“, sagte Gesundheitsökonom Prof. Reinhard Busse von der TU Berlin und teilte damit die Meinung, die Hecken Anfang Juli in einem viel kritisierten FAZ-Interview vertreten hatte. Mit Blick auf die deutlich zurückgegangenen Patientenzahlen plädierte er für Schließung von Standorten. Die viel beschworene Erreichbarkeit dürfe aus seiner Sicht nicht das wesentliche Merkmal für die Gestaltung der Krankenhausstrukturen sein. „Wenn Patienten schnell in einem Krankenhaus sind, wo ihnen nicht adäquat geholfen wird, nützt dieses Gebäude, wo draußen „Krankenhaus“ draufsteht, herzlich wenig“, sagte er. Ein Krankenhaus dürfe aus seiner Sicht nur die Leistungen erbringen, für die es personell und technisch adäquat ausgestattet ist, wie es etwa die neue NRW-Krankenhausplanung vorsieht. Nach dieser Maxime müssten auch die Planung und die Finanzierung ausgerichtet sein.
Krankenhausexperte aus den USA fordert radikalen Systemwechsel in Deutschland
Dr. Benedikt Simon, ehemaliger Strategieberater bei McKinsey und aktuell Harkness Fellow des Commonwealth bei Kaiser Permanente in Washington D.C., warf aus der Ferne einen kritischen Blick auf die aktuellen Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen. Finanzielle Fehlanreize führten zu Qualitätsverlusten. „Das System ist dauerhaft nicht stabil.“ Das von Lohfert & Lohfert erstellte Gutachten zur Krankenhausplanung NRW kritisierte er scharf, da die wesentlichen Zukunftstrends der Digitalisierung, der Ambulantisierung und der intersektoralen Zusammenarbeit nicht adäquat berücksichtigt worden seien. Die Planung des zukünftigen Bedarfs beruhe auf einer Fortschreibung einer aktuellen Fehlversorgung, für die wiederum nicht die Krankenhäuser verantwortlich seien, sondern die Politik. „Wir brauchen einen Systemwechsel.“ In diesem Zusammenhang forderte er eine Abkehr von der DRG-Vergütung hin zu prospektiven sektorübergreifenden Versorgungsbudgets je Versicherten in Form von Capitation-Modellen und verwies auf sein gerade erschienenes Buch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“, in dem erstmalig die Top-Manager des deutschen Gesundheitswesens zu Wort kommen, um ihre Visionen und Konzepte für die Ausgestaltung eines modernen, zeitgemäßen und zukunftsfähigen Systems vorzustellen.
Betriebsführungsverträge mit einer Managementgesellschaft als Handlungsoption für Gesellschafter
Weitere Schwerpunkte des führenden Kongresses für Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft zwischen Rhein und Ruhr stellten die Digitalisierung sowie die immer schwieriger werdende wirtschaftliche Situation der etwa 1.900 Krankenhäuser der Republik dar. Nachdem 2020 aufgrund der Freihaltepauschalen in den meisten Krankenhäusern positive Jahresergebnisse zu konstatieren waren, führten die aktuellen und für die Zukunft zu erwartenden Fallzahlrückgänge zu einer deutlichen Ergebnisverschlechterung. In der Folge rolle eine Privatisierungswelle auf die Krankenhauslandschaft zu, waren sich viele Kongressteilnehmer einig. Um die volle gesellschaftsrechtliche Kontrolle zu behalten, stelle daher ein Betriebsführungsvertrag mit einer auf Turnaroundmanagement spezialisierten Managementgesellschaft eine sinnvolle Alternative zum Verkauf für immer mehr Landräte, Bürgermeister und Bischöfe dar. Von daher wandele sich auch das Bild des Geschäftsführers vom klassischen Krankenhausdirektors hin zum modernen Klinikmanagementexperten.
Die Kongressleiterin und Geschäftsführerin von WISO S. E. Consulting GmbH Claudia Küng war mit dem Verlauf des hybrid durchgeführten Kongresses zufrieden. „Die Teilnehmer und Referenten gehen inzwischen völlig souverän mit dem hybriden Format um“, lautet ihr Fazit.
Für die KU Gesundheitsmanagement: Dr. Nicolas Krämer
Mehr zum Kongress: www.gesundheitskongress-des-westens.de
Endlich kommt das in die Öffentlichkeit was Dr. Nikolas Krämer schon länger denkt und in einem Buch beschreibt. Der Gesundheitskongress war hierzu der geeignete Ort. Danke für die lehrreichen Informationen.