Der Experten-Standpunkt in der KU Gesundheitsmanagement

Als ich den rot-grün-gelben Koalitionsvertrag las, habe ich mich gefreut. Denn „um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG um.“ Wow. Sollte tatsächlich eine Gesundheitsgesetzgebung beschlossen werden, von der sogar die Patientinnen und Patienten profitieren? Zudem noch, ich zitiere wörtlich, zügig? Was auch immer das bedeutet. Zur Erinnerung: Die unter der Überschrift „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ ebenfalls im Ampelvertrag zugesagte elektronische Patientenakte wurde bereits 2003 vom Bundestag beschlossen. Vor 19 Jahren. Passiert ist seitdem herzlich wenig.
Beschäftigen wir uns aber mit den Hybrid-DRG. Ganz neu ist auch diese Idee nicht. So entwickelte die Techniker Krankenkasse bereits 2016 ein Vergütungsmodell, das auf Basis von DRG und EBM eine gleiche Vergütung stationär und ambulant erbrachter Leistungen vorsah. Damals wie heute gilt: Wenn jetzt keine überbordenden Dokumentationsnotwendigkeiten kreiert und pragmatische Vergütungslösungen gefunden werden, bringt das meiner Meinung nach drei wesentliche Vorteilemit sich:
- Finanzielle Fehlanreize des DRG-Systems werden überwunden und Kliniken müssen Patienten nicht mehr stationär aufnehmen, um kostendeckend zu arbeiten. Dadurch wird das Klinikpersonal entlastet und ein wichtiger Beitrag gegen den Fachkräftemangel geleistet. Bisher ist das ambulante Geschäft für Kliniken unattraktiv – und wirtschaftlich ein absolutes Verlustgeschäft.
- Ein weiteres wesentliches Manko des deutschen Gesundheitssystems wird überwunden, der tiefe Graben zwischen den Sektorengrenzen. Grundsätzlich gilt zwar, Konkurrenz belebt das Geschäft, in einer regulierten Branche wie dem Gesundheitswesen, darf das aber nur bedingt gelten. Wenn es geschickt angestellt wird, lässt sich mit Hybrid-DRG der ineffiziente Konkurrenzkampf um Leistungen zwischen ambulanten und stationären Versorgern in einigen Regionen überwinden. Angenommen, es gäbe pro Region für bestimmte Leistungen ein Gesamtbudget, so dass niedergelassene Ärzte und Kliniken aus demselben Topf bezahlt würden. Dann würden sich beide Seiten nichts mehr wegnehmen und könnten besser zusammenarbeiten.
- Eine der abgedroschenen Floskeln im Gesundheitswesen lautet, dass der Patient im Mittelpunkt steht. Aber der wohl wichtigste Vorteil der Hybrid-DRG läge tatsächlich – man mag es kaum glauben – im Wohl der Patienten. Wenn Behandlungen nicht dort erbracht werden, wo sie am besten bezahlt werden, sondern da, wo sie aus medizinischer Sicht am sinnhaftesten ist. Also häufiger ambulant und seltener stationär. Das wäre ganz im Sinne der Entlastung der Krankenhäuser, deren Mitarbeitende im internationalen Vergleich die zweithöchste Arbeitsbelastung aushalten müssen. Die Patienten könnten in den meisten Fällen von einem schlankeren und medizinisch sinnvolleren Behandlungsprozess profitieren. Und wer freut sich nicht, wenn er nach einem Eingriff schnell wieder zuhause ist, wo er auf die Beine kommen und zurück ins Leben finden kann?
Damit am Ende nicht gilt, das Gegenteil von gut ist gut gemeint, müssen bei der Ausgestaltung der Hybrid-DRG viele Detailfragen beantwortet werden. Dass die Hybrid-DRG statt eines Zuviels künftig ein Zuwenig an Behandlung nach sich ziehen, glaube ich nicht. Knapp 20 Jahre Erfahrung mit dem aktuellen Fallpauschalensystem haben deutlich gezeigt, dass es nicht zu den befürchteten „blutigen Entlassungen“ gekommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Hybrid-DRG eine große Chance ist. Wenn man es richtig macht. Und im wahrsten Sinne des Wortes zügig. Damit diese Chance auch genutzt wird, hoffe ich, dass bei ihrer Ausgestaltung auch Praktiker zu Wort kommen und nicht nur Berufspolitiker und Bürokraten aus dem Elfenbeinturm. Dann könnte bei der Hybrid-DRG tatsächlich etwas ganz Verrücktes rauskommen: nämlich etwas, das den Patienten wirklich zugutekommt.
Autor: Dr. Djordje Nikolic, Vorsitzender der Geschäftsführung, consus clinicmanagement
erschienen in KU Gesundheitsmanagement 3/2022