Gesundheitskongress des Westens am 3. und 4. Mai 2022 in Köln

Quelle: Gesundheitskongress des Westens / Nicolas Krämer
Köln. Laut Kongresspräsident Professor Karl Max Einhäupl hat Deutschland das beste Gesundheitssystem der Welt. Nach wie vor und trotz aller Schwächen, die die Coronapandemie schonungslos aufgedeckt hat. Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ist grundsätzlich positiv gestimmt. Die von ihm auf den Weg gebrachte Krankenhausplanung, die eine Abkehr von der Bettenorientierung hin zur Fokussierung auf Leistungsgruppen vorsieht, sei nicht nur vollkommen neuartig, sondern könne als Blaupause für die gesamte Republik dienen. Die Krankenhäuser in seinem Bundesland hätten die Pandemie vorbildlich bewältigt und sogar Covidpatienten aus den Niederlanden versorgt – der beste Beleg dafür, dass das niederländische System, anders als häufig behauptet, nicht als Muster für Nordrhein-Westfalen tauge. Kritisch wies der Minister allerdings auf die Situation in der Pflege hin: Die Stimmung unter den Mitarbeitenden sei schlecht. Er forderte Veränderungen, „ansonsten fliegt uns das System um die Ohren“.
Regierungskommission für eine moderne Krankenhausversorgung
Dass zwischen Weser und Rhein zur Zeit ein Wahlkampf tobt, war im altehrwürdigen Gürzenich deutlich zu spüren. Der Spitzenkandidat der SPD, Thomas Kutschaty, habe als Wahlversprechen eine Bestandsgarantie für alle Krankenhäuser ausgesprochen, merkte Laumann an und gab ihm den Rat, sich über die Umsetzungsmöglichkeiten dieses Vorhabens mal mit seinem Parteigenossen Professor Karl Lauterbach zu unterhalten. Denn der hält offenbar nichts von einem „Weiter so“ und sieht erheblichen Verbesserungsbedarf. Der Bundesgesundheitsminister, der seine Teilnahme aufgrund einer von Bundeskanzler Olaf Scholz kurzfristig anberaumten Kabinettssitzung absagen musste, ließ via Grußwort ausrichten, dass die Bundesregierung für eine nachhaltige Versorgung des Gesundheitssystems arbeiten wolle. Erst am Vortag hatte er eine Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung berufen.
Sanierung der Kliniken der Stadt Köln auf den Weg gebracht
Nicht am Wahlkampf zu beteiligen, braucht sich die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Ihre Stadt sei ein medizinisch bedeutendes Zentrum. Nicht nur an der Kölner Uniklinik werde Spitzenmedizin angeboten. Ihr Ziel sei der Zusammenschluss der Universitätsmedizin und der Kliniken der Stadt Köln. Diese befinden sich in einem aufwändigen Sanierungsprozess, der seit 15. April unter der Leitung von CRO Manuel Berger von der Krankenhausmanagementgesellschaft HC&S steht. Das Pandemiemanagement sei nicht zuletzt aufgrund der sehr guten Arbeit des Leiters des Kölner Gesundheitsamtes, Dr. Johannes Nießen, herausragend gewesen. Während die coronabedingte Mortalität in Deutschland bei 0,7% und in NRW bei 0,6% gelegen hätte, sei sie in der einzigen Millionenstadt NRWs mit gerade einmal 0,4% beziffert worden.
Forderung nach mehr Eigenverantwortung im Umgang mit Covid
Zum Umgang mit dem Virus in der Übergangsphase von der Pandemie in die Endemie wusste der Bonner Professor Hendrik Streeck, Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung, einiges beizutragen. Er forderte von den politisch Verantwortlichen eine vorausschauende Planung. Bevor im Herbst möglicherweise wieder mit stark steigenden Infektionszahlen zu rechnen sei, sei es erforderlich, im Sommer nicht nur einen Plan A zu entwickeln, sondern auch einen Plan B und C. An der Nordsee stärke man die Deiche schließlich auch bei Ebbe und nicht bei Flut. Zudem forderte er eine bessere Einstellung im Umgang mit dem Virus. Es dürfte nicht darum gehen, eine bestimmte Impfquote zu erreichen und Menschen zu kontrollieren. Stattdessen bräuchten wir mehr Eigenverantwortung. Das anlasslose Testen außerhalb von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mittels Antiköpertests kritisierte er. Es koste Geld, sei ökologisch fragwürdig und seit Omikron nicht mehr zielführend. Statt sich auf Tests zu verlassen, um die Inzidenz zu bestimmen, sei ein Stichprobenpanel sinnvoll. Auch eine Echtzeiterfassung der Krankenhausbelegung sei vonnöten, wobei die Digitalisierung kein Schlagwort für Missmanagement sein dürfe.
Deutschland Entwicklungsland bei der Krankenhaus-IT
Die Digitalisierung war auch im weiteren Kongressverlauf ein Thema. Dr. Dirk Wössner vom Branchenverband Bitkom wies auf den im internationalen Vergleich niedrigen Entwicklungsstand der Digitalisierung in der Medizin hin. Im Nachbarland Österreich seien die IT-Investitionen je Krankenhausbett doppelt so hoch wie in Deutschland, in den USA gar sechsmal höher. Eine wichtige Nebenbedingung der Digitalisierung ist der Datenschutz. Rudolf Henke, der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, warnt vor einem ausufernden Datenschutz. Datenschutz per se sei wichtig, vieles halte er aber für übertrieben. Anonymisierte und aggregierte Daten seien sinnvoll und könnten bei der Patientenversorgung und der Forschung helfen.
Hecken weist auf Finanzierungsprobleme hin und warnt vor „Gelegenheitsversorgung“
Der unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ stehende Koalitionsvertrag der Berliner Ampelregierung sieht eine Reform des G-BA vor. Dessen als mächtigster Mann im Gesundheitswesen vorgestellter Vorsitzender Professor Josef Hecken wies deutlich auf die finanzielle Schieflage im GKV-System hin. 2020 hätten sich die Gesundheitsausgaben auf 420 Mrd. EUR belaufen, das entspräche einem 12,7%igen Anteil am Bruttoinlandsprodukt – jeweils ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Durch die demografische Entwicklung würde die Zahl der Rentner von heute 16,2 Mio. auf 21,4 Mio. im Jahr 2040 ansteigen, was die ohnehin schon bestehende Finanzierungslücke der GKV deutlich vergrößern würde. Hier müsse etwas passieren. Eine wie etwa unter Jens Spahn geführte Phantomdiskussion über Liposuktionen bei Lipödem, helfe nicht weiter, um die Strukturprobleme zu lösen. Mit Effekthascherei und Betroffenheit alleine käme man nicht weiter. Es brauche echten Veränderungswillen, wolle man langfristig eine Staatsmedizin mit Kosten-Nutzwertanalysen in Form von QALYs (Quality Adjusted Life Years) vermeiden. Daher müssten nun die wirklich relevanten Themen angepackt werden. Dazu gehöre, Fehlsteuerungen im Krankenhauswesen abzuschaffen. Eine „Gelegenheitsversorgung“ im Rahmen derer in bestimmten Kliniken „zusätzlich zum Blinddarm und zur Hüfte noch Knie-TEPs reingekloppt werden“ müsse der Vergangenheit angehören. Nur mit Konzentrationsprozessen käme man weg von angebotsinduzierten Leistungsausweitungen hin zu Qualitätsverbesserungen.
Meges Appell aus dem Saarland
Eine Reform der Krankenhausfinanzierung forderte auch der aus Saarbrücken angereiste SHG-Geschäftsführer Bernd Mege. In einem Brandbrief an die politischen Entscheider der saarländischen Gesundheitspolitik hatte er im Vormonat auf das Kernproblem der deutschen Krankenhausfinanzierung hingewiesen, dass das System nämlich nicht auf Krisen eingestellt sei und die Einnahmen der Kliniken in der Folge gesunken seien. Sein Appell: „Die Krankenhäuser brauchen schnellstmöglich die Zusage, dass der Rettungsschirm im gesamten Jahr 2022 fortgeführt wird.“ „Die aktuelle Lage ist ernst, vielen Kliniken droht die Insolvenz“, pflichtete ihm DKG-Vorsitzender Dr. Gerald Gaß bei, der in der von Professor Heinz Lohmann moderierten Podiumsdiskussion zum Thema „Klinikfinanzierung am Scheideweg“ deutlich auf die auseinandergehende Kosten-Erlösschere sowie zunehmende Liquiditätsprobleme hinwies und damit Dr. Wulf-Dietrich Leber vom GKV-Spitzenverband deutlich widersprach. Der hatte zuvor von goldenen Zeiten der Krankenhausfinanzierung gesprochen und war dafür von den Krankenhausgeschäftsführern Dr. Alexander Hewer vom Klinikum Stuttgart sowie Jessica Lierandi Pulido vom EVK Mettmann mit markigen Worten kritisiert worden.
Die größte Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts
Von einer nachhaltigen Struktur des Gesundheitswesens im ökologischen Sinne sprach der bekannte TV-Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen in seiner Keynote. Erst die Diagnose – dann die Therapie. Diese wichtige Reihenfolge sei bei der Klimakrise, die er für die größte Gesundheitsbedrohung unserer Zeit hält, nicht eingehalten worden. Wir lebten zwar besser und länger als jede Generation vor uns und seien doch verletzlicher als gedacht. Denn Gesundheit sei mehr als Pillen und Apparate. Gesunde Menschen könne es nur auf einer gesunden Erde geben und Mutter Erde sei schwer krank. Wir müssten also nicht nur unser Gesundheitssystem retten, sondern auch die ganze Welt, bemerkte von Hirschhausen, der sich für Fridays for Future engagiert und 2020 die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen gegründet hat.
Das Fazit des diesjährigen Gesundheitskongresses brachte Dr. Getrud Demmler, Vorständin der SBK Siemens BKK, auf den Punkt. Einerseits stimmte sie Kongresspräsident Einhäupl zu: „Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem, wenn es um den Zugang geht.“ Andererseits widersprach sie ihm: „Wir sind aber nicht weltmeisterlich, wenn es um Qualität geht.“ Und diese, da waren sich viele Kongressteilnehmer einig, ist nur mit einer grundlegenden Reform des Gesundheitswesens zu erreichen. In diesem Sinne: Lasst uns nachhaltige Strukturen schaffen!
Autor: Dr. Nicolas Krämer, Fachbeirat der KU Gesundheitsmanagement