Der deutsche Gesundheitssektor ist insbesondere aufgrund der zunehmenden Digitalisierung in einem stetigen Wandel – vor allem die Leistungserbringer befassen sich aufgrund diverser Förderprogramme wie dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) derzeit intensiv mit den Möglichkeiten der Digitalisierung.
Einen entscheidenden Funktionsbereich im Klinikalltag stellen die Labore dar, da diese eine wesentliche Grundlage für eine patientenorientierte Behandlung aufbauend auf den Befunden sowie den abgeleiteten Diagnosen darstellen. Leider wird die Labordiagnostik trotz der engen Verzahnung mit den primären Leistungserbringern bisher weniger prioritär betrachtet, sodass gegenwärtig viele Labore noch nicht durchgängig digital arbeiten. Aufgrund fehlender Schnittstellen, heterogenen Systemlandschaften und unzureichender Prozess-Standardisierung bzw. -Optimierung sind die Laborprozesse hierbei von Medienbrüchen durchzogen. So erfolgt beispielsweise die externe Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern häufig noch analog, Laboranforderungen werden telefonisch oder papierbasiert durchgeführt und auch die Befunddarstellung hat noch keine Einbindung in die krankenhausinternen Klinikinformationssysteme (KIS) gefunden.
Die Labordiagnostik steht also vor großen Herausforderungen, bietet aber enormes Digitalisierungspotenzial, welches im Rahmen des Ansatzes Labor 4.0 ausgebaut werden kann. Labor 4.0, angelehnt an Industrie 4.0, beschreibt dabei die Umsetzung der Digitalisierung in der Labordiagnostik mit dem Ziel, vollumfänglich digitalisierte und möglichst automatisierte Labordienstleistungen zu schaffen. Die Voraussetzung für die Durchführung einer solchen digitalen Transformation ist die laborinterne Vernetzung. Dabei erschwert die Vielzahl spezialisierter Geräte unterschiedlicher Hersteller, alle mit eigenen Datenformaten und Schnittstellen, die Vernetzung untereinander und die Integration in die bestehende IT-Infrastruktur. Es gilt also ein entsprechendes, abgestimmtes Produktportfolio aufzubauen und bestehende IT-Infrastrukturen neu zu denken.
Darüber hinaus beschäftigt sich der Labor 4.0-Ansatz mit der Schaffung einer zentralen digitalen Labordatenbank. Ziel ist es, einen gemeinsamen Ablageort zu schaffen, auf dem alle relevanten Daten einheitlich strukturiert und transparent abgelegt werden können. Wurde die Datenhaltung erst einmal zentralisiert, ist es möglich, diese Daten auch für weitere Fragestellungen zu nutzen. So können beispielsweise die gewonnenen Labordaten zukünftig bei der Analyse von Befunden aufbauend auf der künstlichen Intelligenz (KI) genutzt werden (value of data).
Nach der internen digitalen Vernetzung von Laboren bedarf es aber auch im Hinblick auf das digitale Ökosystemeiner stärkeren zukunftsorientierten Verzahnung mit der medizinischen Leistungserbringung, indem die Anbindungen zwischen den Laborsystemen und dem KIS bzw. KIS nahen Systemen gefördert werden. Hat eine solche tiefgreifende Vernetzung stattgefunden, zeigen sich erste Digitalisierungserfolge: die Vermeidung von Doppelarbeiten, eine transparente und lückenlose Dokumentation, die Automatisierung von Prozessen sowie die Bereitstellung und Nutzung von Daten in unterschiedlichen medizinischen Kontexten.
Dabei haben alle das gleiche Ziel: die Behandlungsqualität zu steigern und notwendige Kosten zu reduzieren. Die Etablierung des „Labor 4.0“ stellt somit einen zukunftsorientierten und notwendigen Ansatz dar, da er die Labordiagnostik noch stärker in die medizinische Leistungserbringung integriert und die Automatisierungspotenziale hebt. Davon profitieren alle Seiten, die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal bei der täglichen Behandlung der Patientinnen und Patienten, die Labordienstleister (intern/extern) bei der Durchführung ihrer Dienstleistung und natürlich im Fokus die Patientinnen und Patienten im Rahmen ihres Krankenhausaufenthaltes.
Autor: Peter Maximilian Conrad, Senior Manager Healthcare, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Erschienen in KU Gesundheitsmanagement 06/2022