Der aktuelle Expertenstandpunkt der KU Gesundheitsmanagement
Von einem Krankenhaus in Norddeutschland erhielt ich vor Kurzem eine privatärztliche Leistungsabrechnung. Adressiert war sie an meinen Vater, der seinen letzten Aufenthalt in diesem Haus leider nicht überlebt hatte. Die Rechnung wurde auf den Tag genau sieben Monate, nachdem er auf der Intensivstation verstorben war, ausgestellt. Sieben Monate.
Wirft man einen Blick in den letzten im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschluss dieser Klinik, liest man dort von einem Investitionsstau im Medizintechnikbereich sowie in der IT. Die dafür fehlenden Investitionsmittel werden ebenso als „schwerwiegendes wirtschaftliches Risiko“ angesehen wie die Unterfinanzierung, von der ebenfalls die Rede ist. Und auch systemkritische Worte haben die Unterzeichner in ihren Jahresbericht einfließen lassen. Frei nach dem Motto „Jammern ist des Kaufmanns Gruß“ beklagen die Verantwortlichen des Klinikums nämlich, dass die öffentlichen Fördermittel viel zu niedrig seien und etwa doppelt so hoch sein müssten, um finanziell über die Runden zu kommen. Solche Worte im Lagebericht eines Krankenhauses zu lesen, das sich den Luxus leistet, mehr als acht Monate – denn das Zahlungsziel der Rechnung beträgt 30 Tage nach Zugang – auf das für eine erbrachte Leistung zu zahlende Geld zu verzichten, führt zu einer gewissen Verwunderung. Eine solche Einrichtung dürfte von Geldsorgen weit entfernt sein – oder sie gerade wegen ihres ungewöhnlichen Finanzgebarens haben.
Ein Rechenexempel verdeutlicht das Problem. Stellen wir uns vor, ein Klinikum der Maximalversorgung habe einen Jahresumsatz von 300 Mio. Euro. Und gehen wir zudem davon aus, dass die Krankenhausleistungen, die zu diesen Erlösen führen, durchschnittlich zwei Monate nach ihrer Erbringung, also der Entlassung oder dem Tod des Patienten, zu einem Zahlungseingang führen. Das bedeutet, dass Kapital in Höhe von etwas mehr als 50 Mio. Euro in Forderungen gebunden ist, und auf das das Krankenhaus somit keinen Zugriff hat. Gelingt es, die Wartezeit auf den Zahlungseingang durch verbesserte Dokumentations- und Fakturierungsprozesse von zwei Monaten auf einen zu reduzieren, würde Liquidität in Höhe von etwa 25 Mio. Euro freigesetzt. Geld, das im Rahmen eines Einmaleffekts für dringend benötigte Investitionen ausgegeben werden könnte. Fehlt das Geld hingegen, müssen zur Überbrückung Darlehen aufgenommen und zusätzliche Kreditlinien eingeräumt werden. Diese gibt es in der Regel nicht zum Nulltarif. Und die Zinsen steigen, was sich zusätzlich negativ auf die wirtschaftliche Situation auswirkt. Strukturelle Finanzprobleme dieser Art leistet sich kaum eine andere Wirtschaftsbranche. Kaum eine andere Branche lässt aber zugleich so regelmäßig laut den Hilferuf an Vater Staat nach mehr Geld ertönen wie der Kliniksektor. Im Oktober letzten Jahres ging es im Standpunkt um erhebliche Dokumentationsdefizite, die zu beträchtlichen Mindereinnahmen vieler Krankenhäuser führen. Die Rede war davon, dass wir in Deutschland keine Unterfinanzierung hätten, sondern eine Unterdokumentation. Das ist leider richtig und nach wie vor ein Problem, das durch die verzögerte Abrechnung noch vergrößert wird. Vor dem Hintergrund einer immer größer werdenden Finanzierungslücke bei der GKV und stagnierenden Steuereinnahmen, sinkender Patientenzahlen sowie dem Umstand, dass Kliniken aufgrund einer ungeklärten Budgetsituation einen Teil ihrer Pflegekosten vorfinanzieren müssen, kommt der Erlössicherung eine immer größere Bedeutung zu.
Unser Gesundheitssystem muss dringend reformiert werden. Das ist eine staatliche Aufgabe. Dabei geht es auch um die Finanzierung, zum Beispiel in Form von Hybrid-DRG. Aber auch die Häuser stehen in der Verantwortung, effizient zu arbeiten. Ineffiziente Betriebsführungen kommunaler Krankenhäuser halte ich für genauso problematisch wie überzogene Renditeerwartungen privater Träger. Gerade öffentlich-rechtliche aber auch freigemeinnützige Häuser sind gut beraten, ihre internen Strukturen und Abläufe in den Griff zu bekommen, um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern. Das funktioniert nicht mit Jammern. Es muss gehandelt werden. Dafür sind echte Macher gefragt. Jammern füllt keine Kammern.
Verfasser: Dr. Nicolas Krämer, Vorstandsvorsitzender HC&S