Der aktuelle Expertenstandpunkt der KU Gesundheitsmanagement
Gleich und gleich gesellt sich gern. Oder gilt doch: Gegensätze ziehen sich an? In homogenen Gruppen lebt es sich vermeintlich leichter, nur ist es, abseits einzelner Biotope, nicht die Arbeitsrealität in Krankenhäusern des Jahres 2022. Auch spricht vieles dafür, dass Organisationen in heterogener Zusammensetzung effektiver und innovativer agieren als jene, die in tradierten Strukturen verharren. Somit müssten theoretisch beim Thema „Vielfalt“ oder – neudeutsch – „Diversity“ aller Ehrgeiz darauf fokussiert sein, der Unwucht im System zu begegnen. Das Ungleichgewicht in puncto Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft gilt es in der Struktur eines Krankenhauses aufzuheben.
In der öffentlichen Diskussion ist Vielfalt zum Mainstream geworden, und das Marketing nutzt Diversity als Instrument; Rainbow-Washing nennt man das, wenn an dem einen oder anderen Krankenhaus die Regenbogen-Flagge gehisst wird, sich jedoch sonst nichts in Richtung Vielfalt ausmachen lässt. Was zählt, das sind Fakten: In Krankenhäusern sind laut BDO/DKI-Studie gerade einmal 18 % der Geschäftsführer weiblich; bei größeren nur 7 %. Wer nun glaubt, dass sich das Biotop in Zukunft auswachsen wird, der oder die wird enttäuscht: Bei der Gruppe der älteren Klinikgeschäftsführer sind 21 Prozent weiblich, bei den jüngeren sogar nur 16 Prozent. Im Kontrast dazu arbeiten in deutschen Krankenhäusern vor allem Frauen: 80 Prozent der Angestellten sind weiblich. Daten über andere, die Vielfalt berücksichtigende Fakten wie ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierung, liegen da kaum vor.
Eigentlich wundert das nicht, denn die gewachsenen Komfortzonen bestehen weiterhin. Appelle und sonstige Aktivitäten wie eine geschlechtergerechte Sprachregelung und mutlose Zusätze bei Stellenausschreibungen helfen da wenig. Es müssen letztendlich das Hirn und der Verstand des Managements erreicht sein, um diese Zonen zu überwinden. So stellt eine McKinsey-Studie fest, dass es für höhere Profitabilität, höhere Marktanteile, erhöhte Kreativität und Innovation einen klaren Zusammenhang zu diversen Teams gibt. Diversity, auch wenn der Autor, acht Jahre nach seinem Beitrag „Das rosa Krankenhaus“, seine Sicht einmal mehr nicht an der rein materiellen Sicht festmachen möchte, hat zum Selbstverständnis zu gehören. Und die Frage nach der Vielfalt wird immer präsenter, je mehr man sich vergegenwärtig, wie schwieriger es wird, ohne ihr die hochkomplexe Welt von morgen zu erfassen und dann auch sinnvoll zu gestalten. Trotzdem scheint in Kliniken das Beharrungsvermögen groß und Diversity dürfte ähnliche beherzt angefasst sein wie bislang Nachhaltigkeit oder sonstige Themen, die zwar seit Jahrzehnten bekannt sind, jedoch allenfalls auf der Referentenebene dort kursieren.
Aber warum ist das so? Psychologen sehen hierin die Folge des sog. Mini-Me-Effektes, der die Tendenz zur Ähnlichkeit bei Entscheidungen, Auswahlverfahren und Erfahrungsbewertung beschreibt. Weiter zurück und scheinbar banal aus dem Volksmund: Gleich und gleich gesellt sich gern. Dabei ist ausgemacht, dass ohne das selbst gesteckte Ziel, Vielfalt zu realisieren, sich dieses Muster nicht ändern wird. Die Papierform mag dann eine andere Sprache sprechen als die informelle Struktur, die sich später zum Feierabendbier trifft. Denn die Voreingenommenheit wirkt im Unbewussten. Vielfalt ist somit für die individuelle Person herausfordernd, da sie das alltägliche etablierte Arbeiten vor ihr ganz persönlich infrage stellt. Das mag nicht jeder oder jede, denn das „Verweile-doch-du-bist-so-schön“ ist definitiv bequemer. Also: Gegensätze ziehen sich zwar an, doch muss man das Aufeinanderprallen auch aushalten wollen und können. Da hilft der Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika, die nach Putins Überfall auf die Ukraine sich einmal mehr als seelenverwandt zeigen: Dort hat die Sensibilisierung, auch über Management-Coachings, bei Dimensionen der Vielfalt wie ethnische Herkunft sich positiv auf den Mini-Me-Effekt ausgewirkt. Wie viel mehr an Potenzial ist hierzulande noch unentdeckt?
Nur wenn Krankenhäuser die Vielfalt nicht einzig als Marketing-Instrument im Sinne eines Rainbow-Washings verstehen, sondern erkennbare Veränderungen umsetzen wollen, auch auf persönlicher Ebene des Managements, kann echte Diversity sich etablieren. Das Argument Wirtschaftlichkeit braucht es dafür eigentlich nicht.
Autor: Dr. Christian Stoffers, Zentralreferat Kommunikation und Marketing, Marien Gesellschaft Siegen gGmbH