Ein Resümee aus gesundheitsökonomischer und rechtlicher Sicht

Die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegenen Mindestanforderungen an die Erbringung stationärer sowie teilstationärer Komplexbehandlungen sind Anlass für eine Vielzahl von Streitigkeiten innerhalb der durchgeführten Krankenhausabrechnungsprüfungen. In den Krankenhäusern wird damit Personal gebunden, das bei der Patientenversorgung fehlt. Um die Krankenhausabrechnungsprüfung zukünftig effizienter zu gestalten, wurde mit dem MDK-Reformgesetz vom 7. November 2019 u.a. ein zweistufiges Prüfregime eingeführt. Dieses besteht aus einer vorgelagerten Prüfung von krankenhausbezogenen Strukturmerkmalen gemäß § 275dSGB V und der Prüfung von patientenbezogenen Mindestmerkmalen im Einzelfall gemäß § 275c SGB V. Erstmals werden damit rechtsverbindliche Regelungen für Strukturprüfungen geschaffen. Statt eine Vielzahl von Einzelfällen zu prüfen, wird die Erfüllung struktureller Voraussetzungen in einer jährlichen Strukturprüfung gebündelt. Im Ergebnis sollen die Aufwendungen im Rahmen der Krankenhausabrechnungsprüfung reduziert und die Planungssicherheit der Krankenhäuser sowie Krankenkassen hinsichtlich der Abrechnungsbefugnis gestärkt werden. Die Einführung von OPS-Strukturprüfungen ist ein zukunfts-weisender Schritt, um die Effektivität der Krankenhausabrechnungs-prüfung zu verbessern. Kurzfristigbedarf das Instrument jedoch einerprozessorientierten Überarbeitung.
Rechtmäßigkeit und Praxistauglichkeit der Verfahrensgrundlagen
Der neu geschaffene § 275d SGB V verpflichtet Krankenhäuser, die Einhaltung von Strukturmerkmalen durch den Medizinischen Dienst(MD) begutachten zu lassen, bevor Leistungen mit den Krankenkassenvereinbart und abgerechnet wer-den können. Krankenhäuser, die die strukturellen Voraussetzungen nicht erfüllen, können seit dem Jahr2022 keine Leistungen vereinbaren und abrechnen. Als Grundlage für die Strukturprüfungen hat der Medizinische Dienst Bund (MD Bund)eine Richtlinie erlassen, welche erstmals am 20. Mai 2020 in Kraftgetreten ist (StrOPS-RL). Aus klassifikatorischer Sicht geht das Prüfkonzept des MD Bund zum Teil weit über den Wortlaut der jeweiligen OPS-Komplexziffern hinaus, was mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung von Vergütungsregelungen nicht vereinbar ist. So stehen z. B.Vertretungssituationen sowie die Qualifizierung des vorzuhaltenden Personals wiederholt im Mittelpunkt von Auslegungsstreitigkeiten. Insbesondere im Rahmen der zunehmenden Akademisierungund des stetig wachsenden Angebotes an Bachelor- bzw. Masterstudiengängen ist eine klare Definition der zulässigen Berufsgruppen inder Praxis nicht immer möglich.
Auch ist die Festlegung der Monatsfrist zur Mitteilung der Nichteinhaltung von Strukturmerkmalen durch das Krankenhaus nicht praxisnah, da gerade im Hinblick auf die Anzahl und die Qualifikation des vorgehaltenen Personals eine in der Regel längerdauernde Personalnachbesetzung finanzielle Nachteile für ein Krankenhaus nach sich ziehen kann. Dies gilt insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels. Personal mi tOPS-relevanter Qualifikation – wie z.B. die 180-Stunden-Pflegefachkraft in der Geriatrie – wird somit noch begehrter, wodurch der Wettbewerb in strukturschwachen Regionen weitersteigt. Zudem ist die formelle Rechtmäßigkeit der StrOPS-RL kritisch zu hinterfragen, da sie verwaltungsrechtlich keine Rechtsnorm mit Außenwirkung darstellt. Die Richtlinieninhalte geben dem Vergütungsanspruch jedoch abschließende Gestalt. In der Folge muss die Frage geklärt werden, welche krankenhausplanerischen Konsequenzen Strukturprüfungen haben.
Unbestimmte Rechtbegriffe und definitorische Unklarheiten
Inhaltliche Grundlage für die Strukturprüfungen bildet der vom Bundesinstitut ür Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herausgegebene amtliche Operationen-und Prozedurenschlüssel (OPS). Unerlässliche Voraussetzung für Strukturprüfungen ist die bundesweit einheitliche Durchführung. Um das Prüfverfahren zu standardisieren, hat das BfArM daher eine grundlegende Bereinigung der OPS-Komplexkodes vor-genommen. In der OPS-Version 2021 erfolgte zunächst die Aufteilung der in den Kapiteln 1, 8 und 9 bei den Komplexkodes bisher genannten Mindestmerkmale in krankenhausbezogene Strukturmerkmale und patientenbezogene Prozessmerkmale sowie die Ergänzung des Katalogs um einheitliche Begriffsdefinitionen, die seither kontinuierlich fortgeschrieben werden. Die Bereinigung streitbefangener Formulierungen stellt in der Praxis jedoch eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund der Vielzahl definitorischer Unklarheiten sowie unbestimmter Rechtsbegriffe hat der MD Bund einen ergänzenden Begut-achtungsleitfaden veröffentlicht, der eine einheitliche Auslegung fördern soll. Grundsätzlich obliegt die Kompetenzhoheit zur Klärung strittiger Auslegungsfragen des OPS gemäß§ 301 Abs. 2 SGB V jedoch aus-schließlich dem BfArM. Im Rahmen der Planungssicherheit ist u.a. die dynamische Entwicklung des Gesamtverfahrens kritisch zu diskutieren. Allein im Einführungsjahr 2021 wurde der Begutachtungsleitfaden des MD Bund während des laufenden Beantragungsprozesses sechsmal fortgeschrieben. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Gesundheit das BfArM Ende August 2021 angewiesen, zu den im Begutachtungsleitfaden des MD Bundoperationalisierten, streitigen Strukturmerkmalen kurzfristig Klarstellungen im OPS-Katalog vorzunehmen. Diese wurden im Oktober 2021im Rahmen einer Vorab-Publikation zum OPS 2022 veröffentlicht und sind rückwirkend ab dem 1. Januar 2021 gültig. Ein weiteres praktisches Problem für die Krankenhäuser ist, dass die Versionen der StrOPS-RL bisher nur sehr kurzfristig vor Frist-ende der Antragsstellung publiziert worden sind.
Die geriatrische Einheit als Praxisbeispiel
insbesondere die Strukturmerkmale der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (OPS 8-550) stehen wiederholt im Mittelpunkt von Auslegungsstreitigkeiten. Die dynamische Entwicklung der Verfahrensgrundlagen und die daraus resultierenden Auswirkungen für die Krankenhäuser werden nachfolgend am Beispiel der geriatrischen Einheit diskutiert. Die Entwurfsfassung der StrOPS-RL vom Dezember 2020 sah für den OPS 8-550 anstelle der geriatrischen Einheit zunächst einen Stationsbezug als Granulationsgrad der einzelnen Strukturmerkmale vor. Der Wortlaut des OPS8-550 kennt jedoch keinen Stationsbezug, weshalb eine derartige Auslegung einen rechtswidrigen Eingriff in die Systematik des OPS darstellt. Der Stationsbezug ist jedoch nicht nur aus klassifikatorischer Sicht abzulehnen – er hätte gleichzeitig gravierende Folgen für die Praxis. So wurde der Stationsbezug von einigen Parteien als Granulationsgrad für die Gesamtheit der Strukturmerkmale interpretiert.
Dies hätte zur Folge gehabt, dass jede Station ein multiprofessionelles Team mit je einer Behandlungsleitung, einer 180-Stunden-Pflegefachkraft und den geforderten vier therapeutischen Professionen vorhalten müsste. Eine derartige Auslegung ist weder medizinisch-inhaltlich begründet noch entspricht sie der bisher gelebten Praxis. Vielmehr bezieht sich der Wortlaut des OPS 8-550 als Granulationsgrad auf den Begriff der geriatrischen Einheit, der einer sachgerechten Klarstellungbedarf. Selbst wenn die Krankenhäuser einer derartigen Neuauslegung dieses Strukturmerkmales nachkommen und z. B. ihr Pflegepersonal entsprechend qualifizieren lassen wollten, wäre dies aufgrund des pandemischen Geschehens und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht umsetzbar gewesen. In der Endfassung der StrOPS-RL von Mai 2022 wurde der Granulationsgrad in Bezug auf die geriatrische Einheit richtiggestellt. Im weiteren Verlauf wurde die geriatrische Einheit im Begutachtungsleitfaden des MD Bund von Juni 2021 definiert. Zuletzt wurde mit der OPS Version 2022 eine OPS-übergreifende Klarstellung des BfArM vorgenommen. Die (geriatrische) Einheit wurde seit Einführung der Strukturprüfungen daher bereits viermal – zum Teil mit deutlichen inhaltlichen Abweichungen – definiert. Die differente Auslegung einzelner Strukturmerkmale spiegelt sich auch innerhalb des OPS-Vorschlagsverfahrens 2023 wider. Alleinfür die geriatriespezifischen OPS 8-550/8-98a liegen acht OPS-Vorschläge vor, die zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die Praxis hätten.
Erste sozialgerichtliche Entscheidungen
Bereits bei Einführung der Strukturprüfung stellte sich die Frage, welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes sich Krankenhäusern bieten, die ein negatives Prüfungsergebnis erhalten. Zu diesem Punkt sind nun erste sozialgerichtliche Entscheidungen ergangen. Gegen den Negativbescheid nach erfolgter Strukturprüfung ist der Widerspruch gegenüber dem MD statthaft, welcher aufschiebende Wirkung entfaltet (S 8 KR 981/21 ER). Etwas anderes gilt, wenn der Widerspruch gegen das Prüfgutachten erhoben wurde. Das Gutachten stellt nach Auffassung der Gerichte keinen Verwaltungsakt dar. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem Widerspruch gegen das Gutachten auch die aufschiebende Wirkung eintritt (S 47 KR 171/22 ER). Gegen den Widerspruchbescheid kann anschließend eine Klage vor den Sozialgerichten erhoben werden, welche ebenfalls aufschiebende Wirkung hat (S 4 KR 1794/21 ER). Die Sozialgerichte bestätigen hiermit die Intention des Gesetzgebers. Dieser hatte bereits in der Gesetzesbegründung zum MDK-Reformgesetz auf die Möglichkeit einer Klage mit aufschiebender Wirkung hingewiesen. Als Klageart ist die Anfechtungsklage statthaft – verbunden mit einem Antrag, den MD zu verpflichten, eine Bescheinigung auszustellen, die bestätigt, dass die Strukturvoraussetzungen des betreffenden OPS erfüllt sind. Die genannten Entscheidungen hatten durchweg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Gegenstand. Ziel der Anträge war es, den MD zu verpflichten, eine vorläufige Bescheinigung über die Einhaltung der Strukturvoraussetzungen zu erteilen. Alle Anträge sind von den Gerichten abgelehnt worden. Als problematisch wurde insbesondere das fehlende Rechtsschutzbedürfnis angesehen, da die Einrichtungen aufgrund der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage ihre Leistungen weiter erbringen und abrechnen könnten. Noch nicht eindeutig geklärt ist, ob die Krankenhäuser nach bestandskräftigem Negativbescheid die bis dahin erbrachten Leistungen rückabwickeln müssen. So hat das Sozialgericht Nürnberg in der o.g. Entscheidung eine Rückabwicklung verneint, wenn ein Fall des § 275dAbs. 4 S. 2 SGB V vorliegt. Nach dieser Vorschrift können Krankenhäuser, denen die Bescheinigung über die eingehaltenen Strukturmerkmale aus von Ihnen nicht zu vertretenden Gründen erst nach dem 31. Dezember 2021 vorliegt, die bis zum Abschluss einer Strukturprüfung bislang erbrachten Leistungen weiterhin vereinbaren und abrechnen. Die bis zum rechtskräftigen Abschluss der Strukturprüfung erbrachten Leistungen müssen dann nicht rückabgewickelt werden. Ob dies auch gilt, wenn die Leistungen während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens und der damit einhergehenden aufschiebenden Wirkung erbracht und abgerechnet werden, lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen. Ebenfalls noch offen ist, ob auch die Krankenkassen gegen eine Bescheinigung zugunsten des Krankenhauses Rechtsmittel einlegen können. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Bescheinigung ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung ist, der nicht nur das Krankenhaus begünstigt, sondern auch die Krankenkasse belastet. Dazu müsste auch die zugrundeliegende Norm des § 275d SGB V eine Rechtsposition der Krankenkassen schützen. Hiervon ist nach aktuellem Stand der Diskussion nicht auszugehen.
Der Artikel erschien im KU special Medizincontrolling 9/2022
Autorinnen:
Jessica Kappes, Bereichsleiterin Finanzierung, Bundesverband Geriatrie
Christiane Becker, Referentin Recht, Bundesverband Geriatrie