Der Expertenstandpunkt der KU Gesundheitsmanagement

Es gibt Tage, an die man sich auch viele Jahre später noch erinnert. 9/11 zum Beispiel. die Mondlandung oder der Tag, an dem uns Mario Götze zum WM-Titel schoss. Für mich ist auch der 22. Oktober 1985 so ein Tag. Zusammen mit meinen Eltern sowie meiner Großmutter schaute ich im Fernsehen die erste Folge der Schwarzwaldklinik. Ein echter Straßenfeger war der Pilotfilm der Mutter aller Krankenhausserien, mit der das ZDF einem Millionenpublikum Woche für Woche spannende Einblicke in die Krankenhauswelt präsentierte. Ob Leistenbruch, Herzinfarkt oder Polytrauma – alles wird gut in 45 Minuten, lautete das Motto der Programmdirektoren.
Wirtschaftliche Engpässe wurden hingegen in keiner der 70 Folgen ernsthaft thematisiert. Verwaltungsdirektor Mühlmann steuerte das Haus nach einer einzigen Kennzahl, der Belegungsquote. Die fürsorglich klingenden Worte „Ihre Frau Mutter behalten wir übers Wochenende noch zur Beobachtung auf Station“ waren im Finanzierungssystem mit tagesgleichen Pflegesätzen eben nicht nur altruistisch motiviert.
Es waren andere Zeiten. So gehörte das benachbarte Krankenhaus in Titisee-Neustadt noch nicht Europas größter privater Klinikkette an und Chefarzt Professor Brinkmann, der omnipotente Held der Serie, hatte genügend Zeit sich um Patienten, Angehörige und Mitarbeiter zu kümmern und war nicht die Hälfte der Sendezeit damit beschäftigt, sich die Finger wund zu dokumentieren. Robotergestütztes Operieren galt als Science Fiction und eine Folge über einen Cyberangriff auf die Schwarzwaldklinik hatten die Drehbuchautoren damals nicht vorgesehen. Digitalisierungsthemen dieser Art hätte man damals wohl eher bei Captain Future vermutet. Und auch der Fachkräftemangel tangierte das Glottertaler Vorzeigekrankenhaus damals nicht. Die strenge Oberschwester Hildegard konnte es sich leisten, die Krankenschwestern nach Belieben zu schikanieren, ohne befürchten zu müssen, dass diese Kommunikation auf Augenhöhe, agiles Empowerment oder eine verbesserte Work-Life-Balance einfordern würden. Ihr Lieblingsopfer war der bemitleidenswerte Zivi Mischa, der wegen seiner Kriegsdienstverweigerung von ihr dem Zeitgeist entsprechend als Drückeberger gebrandmarkt wurde, wodurch seine Rolle übrigens wesentlich zur gesellschaftlichen Anerkennung des Zivildienstes beitrug. Während es 2011 zum guten Ton gehörte, die Aussetzung der Wehrpflicht zu bejubeln, ist es heutzutage ebenso common sense, sich über den Fachkräftemangel im Krankenhaus zu empören, der die logische Konsequenz der damaligen Entscheidung des Bundestages ist, mit der den Krankenhäusern jährlich 15.000 Zivildienstleistende zur Entlastung der Pflege entzogen wurden.
Welche strategischen Erfolgsfaktoren würden die Schwarzwaldklinik im Herbst 2022 prägen? Der Verwaltungsdirektor würde keine Nebenrolle spielen. Er wäre ein dynamischer Geschäftsführer, möglicherweise im Rahmen einer modernen Partnerschaft mit einer auf Geschäftsbesorgungsverträge spezialisierten Gesellschaft, die darauf fokussiert ist, Kliniken mit einem spezialisierten Managementteam zum Turnaround zu verhelfen. Der Generalist in der Verwaltung hätte ausgedient. Stattdessen gäbe es für jeden relevanten Bereich, z.B. die Budgetverhandlung, das MD-Management und Medizinrecht, Spezialisten, die eng mit dem Geschäftsführer zusammenarbeiten. Von versorgungsirrelevanten leistungsschwachen Fachabteilungen hätte sich die Schwarzwaldklinik getrennt, deren Working Capital ebenso aktiv gemanagt würde, wie regelmäßig zu monitorende Qualitätskennziffern. Im OP erzielte „Dr. da Vinci“ die besten Behandlungsergebnisse, während ein OP-Manager mit den zur Verfügung stehenden Saalkapazitäten minutengenau Tetris spielen würde. Vielleicht wäre die Schwarzwaldklinik sogar das Trägervehikel einer private-equity-finanzierten MVZ-Gruppe. Den Pflegekräften würden über einen Springerpool flexible Arbeitszeiten angeboten. New Work in der Medizin at its best. Dazu gehört übrigens ein weiterer wichtiger Punkt. Die Rolle von Professor Brinkmann wäre mit einer Frau besetzt. Bei einer weiblichen Chefarztquote von gerade einmal 11% sind die deutschen Krankenhäuser nämlich nach wie vor wie die Schwarzwaldklinik: Voll Achtziger.
Verfasser: Dr. Nicolas Krämer, Vorstandsvorsitzender HC&S