Die Digitalisierung hat in den letzten Jahrzehnten zu großen Veränderungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft geführt und wird dies auch in den kommenden Jahren
weiterhin tun. Der Gesundheitssektor zählt zu den Bereichen, bei denen die Geschwindigkeit der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit deutlich zugenommen hat.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung sind Hoffnungen auf eine schnellere Kommunikation und bessere Konnektivität, effizientere Dokumentations- und Verwaltungsabläufe sowie die bessere Nutzbarkeit medizinischer Daten oder die ortsunabhängige Behandlung verbunden. Gerade das Potenzial medizinischer Daten ist immens, da durch die Verknüpfung und Auswertung Krankheitsbilder präziser und schneller bestimmt werden können, Therapien individueller ausgerichtet werden und Ressourcen effizienter allokiert werden.
In fast allen Fällen sind technologische Entwicklungen mit einem neuen oder angepassten regulatorischen Entwicklungsrahmen verbunden. Im Gesundheitswesen sind in diesem Kontext unter anderem das E-Health- Gesetz, das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), das Patientendaten- Schutz-Gesetz (PDSG) oder die Digitale- Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) zu nennen. All diese regulatorischen Eingriffe beziehen sich auf Bereiche des Gesundheitssektors und steuern zudem Entwicklungen hin zu einer digitalen Versorgung. Das Bundesministerium für Gesundheit hat in den vergangenen Jahren den nötigen rechtlichen Rahmen und die notwendigen Strukturen für ein modernes Gesundheitswesen geschaffen, um Rahmenparameter und Schutzbarrieren vorzugeben und damit die Gesundheitsversorgung in Deutschland auf allen Ebenen zu verbessern.
Die Entwicklungen durch die regulatorischen Änderungen sind erkennbar in manchen Bereichen sehr stark, in anderen wiederrum noch eher zaghaft. So sind mittlerweile etwa 90 Prozent der niedergelassenen Arztpraxen an die Telematikinfrastruktur angebunden – trotz verschiedener Anlaufschwierigkeiten bei der Umsetzung der Regulatorik unter anderem mit den verfügbaren Konnektoren. In anderen Bereichen ist der Grad der Umsetzung und Nutzung aktuell jedoch noch nicht auf einem solch hohen Niveau. So wird die elektronische Patientenakte aktuell nur von weniger als einem Prozent der Versicherten verwendet. Auch das Angebot der DiGA scheint mit aktuell 38 Anwendungen und den veröffentlichten Nutzungszahlen (19.025 Freischaltcodes zwischen Oktober 2020 und Ende Dezember 2021 bei der Techniker Krankenkasse / DiGA-Report 2022) noch weiteres Wachstumspotenzial zu bieten.
Durch die Regulierung des Gesundheitssystems werden die Beziehungen zwischen den Finanzierungsträgern, den Leistungserbringenden und den Patientinnen und Patienten gestaltet. Änderungen der Regulatorik liefern immer neue Anwendungsfälle und Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit der Akteure, zur Datennutzung und zur Automatisierung. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass die regulatorischen Änderungen als Innovationstreiber dienen können. Auch im Gesundheitssektor wäre die Entwicklung in den letzten Jahren, ohne einen entsprechenden Impuls durch die Regulatorik, vermutlich nicht identisch verlaufen. Regulatorik befindet sich immer in einem Spannungsfeld zwischen verschiedenen Entwicklungen. Eine zu restriktive und strenge Regulatorik kann gewünschte Entwicklungen ausbremsen, fehlleiten oder sogar komplett unterbinden. Falls es keine regulatorischen Leitplanken gibt, können hingegen unerwünschte Innovationen hervorgerufen werden oder Innovationsanreize zweckentfremdet und missbräuchlich verwendet werden. Regulatorische Eingriffe müssen daher besonders fein austariert werden. Sie sollen gewünschte Innovationen möglichst zielgerichtet anstoßen und Entwicklungen fördern (Digitalisierung des Gesundheitswesen, Nutzbarmachung medizinischer Daten, Integrierte Versorgung) – unter der Vermeidung fehlgeleiteter Innovationen oder wohlmöglich der Verletzung von Rechten, sowie einem Ausbremsen durch zu enge regulatorische Vorgaben. Wenn diese Balance gelingt, sind regulatorische Änderungen ein zielführender Innovationsantrieb.
Autor: Paul Haag, Sector Manager Healthcare, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Erschienen in KU Gesundheitsmanagement 12/2022