Interview mit Jan Hacker

Sicherstellungsauftrag, hohe Fixkosten, aber schwieriger zu kalkulierende Fallzahlen, da Patienten nicht mehr einfach in die Klinik vor Ort gehen, sondern sehr bewusst entscheiden, wo sie welchen Eingriff vornehmen lassen. Die Zeiten für Krankenhäuser sind schwierig und verlangen den Verantwortlichen viel ab.

KU: Herr Hacker, der aktuelle Krankenhaus-Rating-Report besagt, dass es den deutschen Krankenhäusern wieder schlechter geht und zwölf Prozent der Kliniken im „roten Bereich“ liegen, sich also in erhöhter Insolvenzgefahr befinden. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diese Entwicklung?

Jan Hacker: Zum einen hat sich der Krankenhausmarkt in jüngster Zeit schneller verändert als viele Krankenhäuser selbst. Patienten nehmen immer weitere Wege zum Haus ihrer Wahl auf sich und entscheiden sich damit immer öfter gegen das Haus vor Ort, wenn es gefühlt oder tatsächlich keine vergleichbare medizinische und pflegerische Leistung anbieten kann. Und da der Krankenhausbetrieb sehr fixkostenlastig ist, bewirken kleine Änderungen der Inanspruchnahme und damit des Umsatzes schnell sehr große Veränderungen im Jahresergebnis. Zum anderen wird dieser Trend durch die Aktivitäten des Gesetzgebers (Mindestmengen, Pflegepersonaluntergrenzen uvm.) und der Kostenträger (Prüfquoten etc.) noch verschärft. Das damit verbundene Ziel der Schließung von Krankenhäusern ist kein Geheimnis.

Sie sind ein renommierter Experte, der Krankenhäuser vor allem dann sieht, wenn die Krise schon in vollem Gang ist. Wie schnell haben Sie einen Eindruck davon, ob die finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen sind oder nicht?

Der erste Eindruck muss innerhalb weniger Tage gewonnen werden, um eine eventuell drohende Insolvenz zu erkennen und ggf. abzuwenden. Leider zeigt sich oft, dass die gefährdetsten Häuser oft nur über lückenhafte Controllinginstrumente verfügen. Im Ernstfall kann und muss man da kurzfristig nachsteuern. Ob man ein Haus strukturell und längerfristig „drehen“ kann, erfordert eine deutlich detailliertere Analyse, die in der Regel mehr als drei Monate benötigt. Das setzt aber voraus, dass die Zahlungsfähigkeit des Hauses bis deutlich über diesen Zeitraum hinaus gesichert ist und auch sonst alle kurzfristig existenzbedrohenden Risiken (z. B. Hygiene, Fachkräfteverfügbarkeit) unter Kontrolle sind.

Welchen zeitlichen Vorlauf hat es, bis eine Klinik in echte wirtschaftliche Bedrängnis gerät? Kann man dafür eine ungefähre Zeitspanne angeben oder ist die Variation hier zu groß?

Manchmal geht es ganz schnell, wie beispielsweise einige Hygieneskandale der Vergangenheit zeigen. Ein daraus folgender negativer Imageeffekt trocknet die Patientenwege und Einweiserstrukturen regelrecht aus. Aber in aller Regel haben sich die strukturellen Probleme, die man vorfindet, über viele Jahre entwickelt – beispielsweise aufgrund problematischer Personalentscheidungen oder eines längerfristigen Investitions- und Instandhaltungsstaus. Häufig fehlt auch ein strategischer Plan der Träger, sodass über längere Zeit mehr oder weniger „ziellos“ gewirtschaftet wurde. Und schlussendlich gibt es insbesondere im kommunalen Bereich zahlreiche Häuser, deren Fortbestand nur durch den Träger gesichert wird, da sie ohne dessen Unterstützung sowohl zahlungsunfähig als auch überschuldet wären. Wenn diese Unterstützung entzogen wird, kann es auch sehr schnell gehen.

Gibt es „Kardinalfehler“, die Sie bei unterschiedlichen Krisen-Kliniken immer wieder feststellen?

Fast alle Krisen beinhalten ein erhebliches Kommunikationsversagen, wenn erkannte Probleme zu spät oder gar nicht adressiert werden. Sobald den handelnden Personen die Probleme über den Kopf wachsen, greifen häufig Verdrängungsmechanismen, die für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen sind. Verantwortliche graben sich dann oft richtiggehend ein und kommunizieren weniger als vorher. Eine funktionierende Fehlerkultur ist in Krisenunternehmen eher die Ausnahme. Eigentlich sollte ein effizientes Risikomanagement in mittelständigen Unternehmen dafür sorgen, dass Fehler rechtzeitig erkannt oder gar vermieden werden. Leider gibt es das in einer Vielzahl von Häusern nicht. Den mit Abstand größten Fehler, den man in einer Krisensituation begehen kann, ist Inaktivität bzw. Schockstarre. Wird leider immer wieder gemacht. Nummer zwei ist keine oder nicht adäquate Kommunikation nach innen und außen, wenn die Krise bereits bekannt ist.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die Erfolgsfaktoren für gelungenes Krisenmanagement? Oder anders gefragt, welche Voraussetzungen (personell, organisatorisch, in Sachen Kommunikation etc.) müssen gegeben sein, damit man eine wirtschaftliche Krise nachhaltig bewältigen kann?

Die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind Struktur, Transparenz, Kapazität, Geschwindigkeit und Kommunikation. Struktur, da nur sehr stringente Projektplanung und -steuerung in der üblicherweise sehr chaotischen Situation einer Krise überhaupt Änderungen zum Besseren hervorrufen können. Oft entsteht eher hektischer Aktionismus, der viel Reibungswärme, aber wenig Effekt erzeugt. Transparenz ist nötig, da in Krisenfällen häufig vielen Entscheidern gar nicht klar ist, wo man mit Maßnahmen ansetzen kann und muss.
Auch müssen sowohl qualitativ als auch quantitativ die Ressourcen zum Krisenmanagement verfügbar sein. Oft haben entscheidende Mitarbeiter das Haus bereits verlassen oder sind gedanklich auf dem Absprung, und die in der Krise aufkommenden Themen vom Insolvenzrecht bis zur abgestimmten Kommunikation gehören nicht zum üblichen Spektrum des Krankenhausmanagements.
Leider ist auch Geschwindigkeit einer der Erfolgsfaktoren. Das beste Krisenmanagement hilft nicht, wenn vorher das Geld ausgeht oder die Aufsichtsbehörde das Haus dichtmacht. Hier schließt sich der Kreis zur verfügbaren Kapazität.
Und schließlich erbringen Krankenhäuser eine vertrauensempfindliche Dienstleistung. Eine abgestimmte Kommunikation (Patienten, Zuweiser, allgemeine Öffentlichkeit) unter Einschluss des Trägers muss zum Ziel haben, so viel Vertrauen wie nur möglich in das Krankenhaus und seine Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. wiederzugewinnen.

Gibt es grundsätzliche Unterschiede darin, wie große beziehungsweise kleine Kliniken mit Krisen umgehen?

Erstaunlicherweise eher nicht. Wir haben schon große Häuser mit eher ineffektivem Krisenmanagement und das Gegenteil davon gesehen. Größere Verbünde verfügen natürlich über mehr und spezialisiertere Ressourcen, die kleinen Häusern intern nicht zur Verfügung stehen. Natürlich sind Breitenwirksamkeit und damit auch politische Bedeutung einer Krise im Krankenhaus umso größer, je bedeutender das Haus ist. Ein besseres Krisenmanagement ergibt sich daraus jedoch leider nicht automatisch. Ab einer gewissen Größe werden Krankenhäuser „too big to fail“. Das gibt die Sicherheit, dass die Krise nicht die Existenz gefährdet. Allerdings ist das den handelnden Personen vor Ort oft auch bewusst, was sich gelegentlich negativ auf die notwendige Veränderungsbereitschaft auswirkt.

Welche Methoden von großen Häusern oder Konzernen können kleine Klinikgruppen oder einzelne Häuser übernehmen bzw. umgekehrt?

Ausdifferenzierte Compliance-Regelungen und damit formale Krisenvorbereitung findet man häufiger in größeren Krankenhäusern. Auch sind dort meist die Controllinginstrumente im Sinne von Frühwarnsystemen besser und detaillierter. Und ein gewisses Maß an Professionalität und Sachkunde in den Aufsichtsgremien (was allerdings auch bei größeren Krankenhäusern nicht immer gegeben ist) ist präventiv ebenfalls wirksam.

Ein Haus aus der Krise zu führen bedeutet meistens auch, größere strukturelle Umbauten umzusetzen. Positionen müssen u.U. neu besetzt sowie Prozesse, Entscheidungswege und Strategien neu gedacht werden. Wie gewinnt man Menschen für grundlegende Veränderungen, die von der Krise sowieso schon „mürbe gemacht“ sind?

Manchmal will man gar nicht alle gewinnen. Aber die, die Teil der Lösung und nicht des Problems sind, müssen das Ziel verstehen und erkennen, warum die Maßnahmen nicht nur notwendig, sondern auch sinnvoll sind. Das ist eine sehr umfangreiche Kommunikationsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn man Multiplikatoren in das Unternehmen hinein gewinnen kann. Beispielsweise kann der Betriebsrat eine wichtige und positive Rolle spielen und tut es in Krisen auch oft. Wir haben es schon mehrfach erlebt, dass gerade in dieser außergewöhnlichen Drucksituation einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hochform auflaufen und bislang verborgene Talente und Fähigkeiten gezeigt haben. Auch diese können dann wieder als Multiplikatoren dienen und andere Kolleginnen und Kollegen mitziehen. Man sollte sich aber auch hier keinen Illusionen hingeben: Eine wirkliche Krise bewirkt immer auch eine deutlich erhöhte Fluktuation, leider oft auch vorwiegend von Leistungsträgern.

Auch eine Insolvenz kann geplant und mehr oder weniger in Eigenregie vollzogen werden, mit dem Ziel, das Unternehmen wieder gesund zu machen. Wann ist solch eine Maßnahme sinnvoll und wann nicht?

Oft wird einem diese Frage durch die normative Kraft des Faktischen und/oder den Zeitmangel (ein Antrag auf Planinsolvenz erfordert umfangreiche Vorarbeiten) aus der Hand genommen. Wenn man noch zwischen einer Planinsolvenz in Eigenverwaltung nach § 270 InsO und einer Regelinsolvenz wählen kann, wird man sich in der Regel für Ersteres entscheiden, sofern man die Klinik weiterführen möchte. Leider zeigt die Erfahrung, dass Planinsolvenzen im Verfahren häufig in Regelinsolvenzen „kippen“. Die eigentliche Idee des Gesetzgebers, über ein Insolvenzverfahren das Unternehmen so weit zu sanieren, dass es am Ende mit neuem Konzept und von altem Ballast befreit erfolgreich weiterwirtschaften kann, funktioniert bei Krankenhäusern leider oft nicht.

Ist das Trigger-Wort „Insolvenz“ hinderlich, wenn solch ein Rettungsplan den Mitarbeitern kommuniziert wird?

Natürlich erzeugt der Begriff in erheblichem Maße Ängste. Nach unseren Erfahrungen gehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach dem ersten Schreck damit aber oft sehr gut und professionell um, wenn die nächsten Schritte gut kommuniziert wurden. Sicher hilft dabei auch die allgemeine Arbeitsmarktsituation, da gerade die weißen Bereiche selbst im schlimmsten Fall keine Jobsorgen haben müssen. Und dass in der Insolvenz die nächsten zwei Monatsgehälter verlässlich vom Arbeitsamt kommen, ist in manchen Fällen ja sogar eine Verbesserung.

Eine Krise im Krankenhaus kann auch durch konkrete Ereignisse wie „Kunstfehler“ oder Hygiene-Problematiken ausgelöst werden. Hier ist in erster Linie die Gesundheit von Patienten in Gefahr – in zweiter Linie hat dies aber natürlich auch ökonomische Konsequenzen. Kann ein betroffenes Haus durch solch eine Krise in ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten?

Das ist, sofern die Krise groß genug ist, fast immer der Fall. Exemplarisch sei hier das Universitätsklinikum Mannheim genannt, dessen Jahresergebnis sich in Folge eines Hygieneskandals im achtstelligen Bereich verschlechterte. In solchen Fällen ist die Fähigkeit des Trägers zur wirtschaftlichen Abfederung entscheidend, da Krankenhausbilanzen in den meisten Fällen keine ausreichenden Reserven zur Kompensation von Ergebnisverschlechterungen in dieser Größenordnung vorhalten.

Ende Juli sorgte eine Bertelsmann-Studie für Aufsehen, die eine Verringerung der Klinikanzahl um über 50 Prozent empfahl. Dabei ging es in erster Linie um die Behandlungsqualität, aber das Thema Rentabilität kann man hier wohl nicht abkoppeln. Wird aus Ihrer Sicht zu lange an Häusern festgehalten, die eigentlich nicht rentabel arbeiten?

Rentabilität ist sicher nicht das einzige oder auch nur zentrale Kriterium für das Festhalten an einem Krankenhaus. Wenn beispielsweise im kommunalen Bereich Defizite in einem gewissen Umfang toleriert und durch den Träger ausgeglichen werden, ist dies oft auch dem Sicherstellungsauftrag oder dem Ziel einer wohnortnahen Versorgung geschuldet. Leider haben Krankenhausdefizite die Eigenschaft zu wachsen, wenn sie nicht beobachtet werden. Und hier wurde in der Vergangenheit sicher vielfach nicht rechtzeitig interveniert, sonst wäre die Anzahl der notleidenden Krankenhäuser nicht so groß, wie sie jetzt ist. Handlungsbedarf besteht allerspätestens dann, wenn die lokale Bevölkerung ein Krankenhaus nicht mehr annimmt. An solchen Häusern – die dann in der Folge auch immer defizitär sind – wird in der Tat oft zu lange festgehalten.

Übrigens: Die so häufig zitierte Forderung nach einer Reduktion der Krankenhausstandorte von 1.400 auf 600 steht in der Bertelsmann-Studie gar nicht drin. Das hat die PR und die Berichterstattung offenbar nachträglich „dazugepackt“. Die Forderung nach einer deutlichen Konzentration der stationären Versorgung auf deutlich weniger Häuser ist ja nicht neu. Und für die Hypothese, dass dadurch die Versorgungsqualität verbessert und die Personalnot verringert werden kann, gibt es ja durchaus Belege. Nur steht zu befürchten, dass die Hoffnung der Politik und der Kostenträger, dass man so auch die Ausgaben reduzieren kann, wohl nicht begründet ist. Die durchschnittlich höhere Rentabilität der mittleren und großen Krankenhäuser resultiert ja nicht nur aus Skaleneffekten und besserer Fixkostendegression, sondern auch aus ihrer höheren medizinischen Leistungsfähigkeit und den damit verbundenen höheren Umsätzen pro Patient. Wer mehr kann, macht meist auch mehr, und das ist in der Gesundheitswirtschaft teuer.

Herr Hacker, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte KU Fachredakteurin Birgit Sander