Gute Vorbereitung und Antizipation sind Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung eines fünfstufigen klinischen Pandemieplanes

Autor: Johannes Palm, Cand.Master of Disastermanagement and Risk Governance

Das Robert Koch-Institut weist seit Mitte Februar darauf hin, dass es zu einer weltweiten Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) im Sinne einer Pandemie kommen kann. Oberstes strategisches Ziel der Bundesregierung ist die Früherkennung von Infektionen, um die weitere Ausbreitung zu verhindern. Mit dieser Strategie soll Zeit gewonnen werden, um sich bestmöglich vorzubereiten. Diese gewonnene Zeit soll nicht nur genutzt werden, mehr über das Virus und dessen Behandlungsmöglichkeiten zu erfahren, es bietet auch für sämtliche Behörden, Hilfsorganisationen und Gesundheitseinrichtungen die Möglichkeit, sich auf weiterführende Szenarien vorzubereiten.
Eine Gesellschaft, die zuverlässig versorgtwird, ist im Ausnahmefall umso hilfloser. Dieses „Verwundbarkeitsparadox“ trifft gerade für unser Gesundheitswesen zu, das zu den führenden Systemen auf derWelt gehört. Sind aber Krankenhäuser in der Lage, extreme Szenarien frühzeitig zu denken und darauf aufbauend präventive Maßnahmen zu planen?

Strategische und organisatorische Fragestellungen

  • Existiert in der Einrichtung ein auf den speziellen Fall ausgerichtetes Krisenmanagement?
  • Wurde ein Krisenteam bestellt, dass sich zunächst sporadisch und später regelmäßig trifft?
  • Werden Szenarien entwickelt, die auf unterschiedliche Mengen von Verdachtsfällen innerhalb eines definierten Zeitfensters ausgerichtet sind?
  • Ist die Krisenbewältigung möglich, ohne das Tagesgeschäft zu stören (Erlössituation/BCM)?

Personal

Bei weiterer Ausbreitung des SARSCoV-2 und zunehmender Gefahrenstufen ist damit zu rechnen, dass es zu massiven Personal-Ausfällen kommt. Dahinter stecken verschiedene Ursachen:

  • MA tragen Symptome
  • MA befürchten, sich zu infizieren
  • MA möchten ihre Angehörige schützen
  • Kombination aller genannten Ursachen

Es stellt sich die Frage, über welche Strategien Kliniken verfügen, um Mitarbeiter für den Dienst im Krankenhaus zu halten. Der Fragenkatalog hinsichtlich Pandemiemanagement könnte beliebig zu Fragestellungen der Vorhaltung von ausreichendem medizinischen Sachbedarf, der Krisenkommunikation sowie der infrastrukturellen Voraussetzungen fortgesetzt werden.

Der Alarm- und Einsatzplan

Wirft man einen Blick auf die Ausgestaltung der Alarm- und Einsatzpläne fällt auf, dass Katastrophensituationen wie Massenanfall von Verletzten und Evakuierung bei Brandfall dominieren und eine entsprechende Ausprägung besitzen. Auch die jährlichen Übungen, die aus vielen Perspektiven auditiert werden, sehen nicht immer Großereignisse wie bspw. Wetterlagen, Terror/ Amok und Pandemien vor. Dabei ließen sich gerade solche Ereignisse sehr gut moderiert als „Table-Top-Exercise“ im übersichtlichen Personenkreis und ohne erhebliche Beeinträchtigung des Routinebetriebes üben und evaluieren. Ein Ansatz könnte dabei sein, sich mit seinen Übungen an Szenarien von „Länderübergreifenden Krisenmanagement-Übungen/Exercise (LÜKEX)“ zu orientieren. Die folgende Grafik zeigt eine Gegenüberstellung von KRITIS-Sektoren und den Allgefahren, auf deren Grundlage sich Risikoanalysen und Kaskadeneffekte ableiten lassen (Abb. 1).

Der Krisenstab und die Expertengruppen

Ein Krisenstab (Abb. 2) ist eine vordefinierte oder ad hoc zusammengesetzte Gruppe von Personen innerhalb einer Organisation, welcher bei Notfällen oder Krisen die Koordination des Krisenmanagements übernimmt. Der Krisenstab steht unter der Leitung eines führungserfahrenen und alleinverantwortlichen Leiters. Dadurch wird sichergestellt, dass unter hohem Druck zeitgerecht qualitativ gute Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können. Die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung des Krisenstabes sind im Voraus zu regeln.
Der Krisenstab (KS) trifft sich regelmäßig oder auf ad hoc und wird vom Leiter Krisenstab geführt. Aus dieser Gruppe gehen Aufträge und Konsultationen an die Expertengruppen.

Der Klinikinterne Stufenplan

Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, muss der Gesamtprozess von der ersten Information bis zur Entwarnung (und darüber hinaus) in verschiedene Phasen eingeteilt werden, in denen die einzelnen Berufsgruppen fest definierte Aufgaben erfüllen. „Reibungslos“ meint in diesem Sinne eine geordnete und koordinierte Durchführung definierter Maßnahmen während des gesamten Ereignisses, ohne Störung des Routinebetriebes und unter Beachtung wirtschaftlicher Gebote.

Stufe 1: Ankündigungsphase

Die Ankündigungsphase hat den größten Vorlauf. Hier wirdman häufig durch die Medien auf ein bevorstehendes Pandemieereignis aufmerksam gemacht. Während dieser Phase:

  • kommt es zu ersten Informationen seitens des RKI, der Behörden,
  • kommt es zur Konstituierung des Krisenstabes,
  • finden erste Vorbereitungen/Planungen für die Vorlaufphase statt,
  • sollten Hilfspläne entwickelt werden,
  • sollten diese Pläne geschult werden.

Der Stufenplan sollte unbedingt auf individuelle Anforderungen eines Ereignisses angepasst werden. Am Ende dieser Phase steht ein aktualisierter Hilfeplan zur Verfügung.

Stufe 2: Vorlaufphase

In der Vorlaufphase werden die bisher angekündigten Ereignisse konkreter. Auf der Grundlage des aktualisierten Planes besitzt diese Phase folgende Merkmale:

  • Information des gesamten Organisationsteams
  • Einberufung und Durchführung von ersten Sitzungen/Briefings
  • Vorbereitung und Abstimmung der Maßnahmen gemäß Checklisten „Ereignisphase“
  • Bestellung notwendiger Sachmittel (Isolierung) sowie Arzneimittel (spezielleMedikamente, Impfstoffe)
  • Festlegung von Evakuierungsbereichen
  • Planung der Evakuierung
  • Vorbereitung eines baulichen Barrieremanagementkonzeptes
  • Sicherstellung des gesamten Personaleinsatzes
  • Kommunikation top/down-buttom/up sowie innen/außen
  • Abstimmung des Funktionsorganigramms

Die Verkürzung der Zeiträume, in denen Meldungen und behördliche Auflagen eingehen, weisen auf eine Konkretisierung des eigentlichen Ereignisses hin, weswegen sich auch die Anzahl der Treffen innerhalb eines Zeitfensters verdichten. Bereits in dieser Phase sollte ausreichend medizinischer Sachbedarf (Schutzmasken FFP 3, Einmalhandschuhe, Händedesinfektionsmittel, Schutzbrillen) beschafft werden, um einem Engpass in der Ereignisphase entgegenzuwirken.

Stufe 3: Ereignisphase

In der Ereignisphase kommt es zu einem Massenanfall von Patienten, die mit Verdachtssymptomen die Klinik betreten. In dieser Phase ist es wichtig, vor der Lage zu sein, d.h. dass der Krisenstab mit seinen Expertengruppen immer eine Phase vorausplant und durch Antizipation die potenzielle Lageentwicklung vorwegnimmt. Phasen können sich an Mengen innerhalb eines Zeitkorridors orientieren. Das in Abbildung 3 dargestellte Beispiel zeigt Mengengerüste und Planungsaktivitäten im zeitlichen Verlauf.
Während der Ereignisphase verdichtet sich der Führungsrhythmus und im Extremfall (mehr als 50 Verdachtsfälle/ 2 Stunden) wird vom Krisenstab ein vorbereiteter Raum bezogen. Für den Stab und die Expertengruppen werden Checklisten angeboten, in denen Schnittstellen, Aufgaben und Phasen, in denen die Aufgaben erfüllt werden sollen, dargestellt sind.

Stufe 4: Ordnungsphase

Die Ordnungsphase wird genau wie die restlichen Phasen von der Einsatzleitung festgelegt. Gemäß Besprechungen während der Vorbereitungsphase trägt diese Phase folgende Merkmale:

  • Die evakuierten Bereiche werden in den ursprünglichen Zustand versetzt, d.h. Patienten kehren nach sorgfältiger Reinigung gemäß Hygienevorschrift in die Bereiche zurück
  • Die restlichen betroffenen Bereiche werden ebenfalls in den Ursprungszustand versetzt.
  • Alle Bereiche werden den ursprünglichen Funktionen zugeführt.

Sowohl der Beginn als auch das Ende der Ordnungsphase werden wie die Stufen eins bis vier durch Kurzbesprechungen eingeleitet/beendet.

Stufe 5: Evaluationsphase

In der letzten Phase wird das Ereignis vorrangig durch die Einsatzleitung evaluiert. Die gewonnenen Informationen des gesamten Prozesses dienen nach Aufbereitung und Messung als Grundlage für zukünftige Großereignisse.
Evaluiert werden:

  • Durchführung der Maßnahmen und Ereignisse innerhalb der Phasen-Checkliste
  • Auswertung der Patientenkurven
  • Bewertung der Analyse-, Planungs-, Entscheidungs-, Umsetzungs-, Reflexions-, Innovations-, Team-, Netzwerkkompetenz

Speziell die gewonnenen Informationen durch die Patientenversorgung stellen ein großes Potenzial für die Gesundheitsbehörden, Verbände und Institute dar.

Die erkannten Verbesserungspotenziale des Managements eines Großereignisses bieten die künftige Grundlage für die Steuerung weiterer Großereignisse.

Der gesamte Stufenplan inklusive aller Checklisten, Kommunikationskonzept und Beispieltaschenkarten kann beim Autor angefordert und unter Beachtung des Copyrights sofort individuell angepasst/umgesetzt werden.

Quelle: KU Gesundheitsmanagement 4/2020