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Y wie Y-Chromosom

Buchstabe Y

Y wie Y-Chromosom

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Das Y-Chromosom, eine kleine, aber entscheidende Komponente des menschlichen Erbguts, ist von großer Bedeutung für die männlichen Merkmale und die Fortpflanzungsfunktion. Obwohl es im Vergleich zu seinem Gegenstück, dem X-Chromosom, vermeintlich eine kleinere Rolle einnimmt, hat das Y-Chromosom eine entscheidende Bedeutung bei der Entwicklung des Verständnisses für die menschliche Biologie und Genetik. Gerade in der medizinischen Praxis ist es wichtig zu verstehen, welchen Einfluss die Genetik auf die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen hat.

Ein typisches menschliches Genom besteht bei Frauen aus zwei X-Chromosomen und bei Männern aus einem X- und einem Y-Chromosom. Das Y-Chromosom wird hierbei von Vätern an ihre Söhne weitergegeben. Das Fehlen oder eine genetische Veränderung auf dem Y-Chromosom kann zu verschiedenen sexuellen Entwicklungsstörungen führen. Allerdings stehen X- und Y-Chromosomen nicht für „weiblich“ und „männlich“, sondern enthalten Gene und regulatorische Elemente, die unabhängig von oder zusätzlich zu den Wirkungen der Sexualhormone wirken. Evolutionsbiologisch aus einer allelischen Variation entstanden, hat sich zudem im Laufe der Zeit eine ungleiche Aufteilung der Geninformationen zwischen X- und Y-Chromosom entwickelt. Auch sind Krankheiten und Störungen mit dem Y-Chromosom verknüpft, die sich in drei Gruppen klassifizieren lassen: Genetische Störungen auf dem Y-Chromosom, geschlechtsspezifische Erkrankungen sowie eine veränderte Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten. Diese Erkrankungen beeinträchtigen häufig die reproduktive Gesundheit und Fruchtbarkeit des Mannes. Somatische Zellen können zwar auch ohne Y-Chromosom überleben und sich vermehren. Aber Männer, denen das Chromosom in einigen ihrer Zellen fehlt, haben ein höheres Risiko, an Herzkrankheiten, Krebs, Alzheimer und anderen altersbedingten Krankheiten zu erkranken. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass Männer im Durchschnitt etwa 5 Jahre früher sterben als Frauen. Neben den Anwendungen in der Medizin ist das Y-Chromosom außerdem in der Verwandtschaftsforschung und in der Forensik relevant.

Die moderne Medizin hat durch die rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz die Chance, die Genetik etwa durch individualisierte Therapieansätze in der Versorgungslandschaft zu etablieren. Dabei wird ein Schwerpunkt in der geschlechtergerechten Medizin liegen, in der zum Beispiel hormonelle Differenzen entscheidende Faktoren bei der Wirkung von Medikamenten sind. Viel zu häufig herrscht in der Forschung noch ein Bias hin zum männlichen Körper. Durch einen besseren Kenntnisstand zum Einflussbereich des Y-Chromosoms kann also im Umkehrschluss auch die Behandlung von Frauen verbessert werden. Dies ersetzt nicht die medizinische Forschung bei Frauen an sich, kann sie aber ergänzen. Insbesondere die Inaktivierung zwischen den X-Chromosomen, die sich dabei teilweise kompensieren, ist eine herausstechende Besonderheit, die dem männlichen Genom fehlt.

Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Medizin ist es nicht ausreichend, mehr Feldstudien und genetische Analysen bei Frauen durchzuführen. Zusätzlich muss ein ganzheitlicher Blick auf die verschiedenen Dimensionen der menschlichen Genetik erfolgen, um für beide Geschlechter die passenden Behandlungen zu ermöglichen. Gemeinsam mit Erkenntnissen aus der Gentechnologie (z.B. zu mRNA) könnten so in Zukunft weitere Anwendungsfelder – bspw. in der Onkologie oder der Reproduktionsmedizin – erschlossen werden. Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Erforschung des Y-Chromosoms das Verständnis der Humangenetik weiter prägen, weitere Einblicke in unsere Evolution gewähren und den Weg für weiteren Fortschritt ebnen wird.

Autorin: Julia Kaub, Partnerin Health Care, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Erschienen in: KU Gesundheitsmanagement 08/2023

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