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Digitale Geschäftsmodelle in der Versorgung

Digitale

Digitale Geschäftsmodelle in der Versorgung

Digitalisierung

5 MIN

Status quo und Realitätscheck der Videosprechstunde in Deutschland

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet weiterhin unaufhaltsam voran. Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist die Videosprechstunde. Was zunächst als pragmatische Übergangslösung begann, hat sich inzwischen zu einem tragfähigen digitalen Geschäftsmodell entwickelt. Dr. Uwe Günther, Partner der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Geschäftsführer der Sanovis GmbH, sowie Dr. Fiona Schürmann, Beraterin bei der Curacon GmbH, analysieren in diesem Beitrag die wirtschaftliche Tragfähigkeit, regulatorischen Rahmenbedingungen und praktischen Herausforderungen der Videosprechstunde.

Pandemie als Beschleuniger der Videosprechstunde

Die Pandemie hat der Videosprechstunde in Deutschland einen deutlichen Schub gegeben. Laut Zentralinstitut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurden 2024 rund 2,7 Millionen Videosprechstunden dokumentiert – 25 % mehr als im Vorjahr. Etwa die Hälfte entfiel auf hausärztliche Praxen, rund ein Drittel auf die Psychotherapie. Trotz dieses Wachstums liegt der Anteil videobasierter Leistungen an allen ambulanten Behandlungsfällen weiterhin bei un-ter fünf Prozent. Mit dem Auslaufen kontaktreduzierender Maßnahmen hat sich die Wachs-tumsrate wieder deutlich abgeschwächt.

Regulatorischer Rahmen nach dem Digital-Gesetz

Um auf diese rückläufige Entwicklung zu reagieren, hat der Gesetzgeber mit dem Digital-Gesetz zentrale Voraussetzungen für die Integration der Videosprechstunde in die Regelversorgung geschaffen. So wurde die frühere Grenze von dreißig Prozent reiner Videoleistungen aufgehoben. Das E-Rezept und die elektronische Patientenakte werden zum verpflichtenden Standard, und Apotheken dürfen neuerdings Assistenzdienste bei Telemedizin anbieten. Rechtlich gilt die Videosprechstunde nun als gleichwertiger Versorgungsbaustein, sofern eine zertifizierte Software eingesetzt wird.

Vergütung und Honorierung der digitalen Modelle

Mit der rechtlichen Gleichstellung allein ist es jedoch nicht getan. Entscheidend für die flächendeckende Umsetzung ist die wirtschaftliche Tragfähigkeit für Leistungserbringer. Seit April 2025 sieht der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) einen Zuschlag von 3,72 Euro pro abgerechneter Videosprechstunde vor. Gleichzeitig wurde allerdings der Technikzuschlag zum 1. Juli 2025 deutlich reduziert. Statt wie bisher bis zu 1.899 Punkte (ca. 235 Euro) sind nun nur noch 700 Punkte (ca. 87 Euro) pro Quartal abrechenbar, begründet mit gesunkenen Marktpreisen für Videodienste. Praxen dürfen bis zur Hälfte ihrer bekannten Patient:innen ausschließlich online behandeln. Überschreitungen dieser 50-Prozent-Grenze führen dazu, dass alle darüberhinausgehenden Fälle nicht zuschlagsfähig sind und entsprechend nicht vergütet werden. Ziel der Regelung ist es, bei Erstkontakten weiterhin eine persönliche Vorstellung mit Identitätsprüfung und Basisanamnese sicherzustellen. Damit bleiben volumenorientierte Anreize trotz Digitalisierung bestehen, zulasten innovativer Versorgungskonzepte.

Plattformlandschaft und Technische Infrastruktur

Parallel zur Anpassung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen hat sich eine vielfältige Anbieterlandschaft entwickelt. Der Markt wird von wenigen großen Plattformen bestimmt. Doctolib hält rund sechzig Prozent Marktanteil bei Terminsoftware. Anbieter wie TeleClinic, Zava, Kry und DocOnCall liefern integrierte Lösungen, die Terminvereinbarung, Videosprechstunde, Rezept und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in einem Ablauf bündeln. Die Erlöse entstehen überwiegend durch Abonnements und Transaktionsgebühren, klassische Kauf-Lizenzen verlieren an Bedeutung.

Doch trotz funktionaler Plattformlösungen bleibt die technische Infrastruktur vielerorts das größte Hindernis für eine stabile Integration digitaler Versorgung. Die Telematik-Infrastruktur ist nach wie vor instabil, Kartenleser und Konnektoren verursachen regelmäßig Ausfälle. Der Rollout der neuen Konnektor-Generation im Rahmen der TI 2.0 verzögert sich. Zwar sind Single-Sign-on und multifaktorielle Authentifizierung technisch vorbereitet, aber noch nicht flächendeckend verfügbar. Medizinische Fachkräfte verlieren durch technische Probleme bis zu 45 Minuten pro Schicht. Diese Belastung führt zu Frustration im Praxisalltag und hemmt die Akzeptanz digitaler Lösungen.

Patientenperspektive

Auch auf Patientenseite zeigt sich ein gemischtes Bild. Während ein großer Teil das Potenzial der Videosprechstunde grundsätzlich anerkennt, bleiben die tatsächlichen Nutzungszahlen deutlich zurück. Die meisten chronisch Kranken erkennen den Nutzen der Videosprechstunde an, dennoch nutzen weniger als dreißig Prozent das Angebot tatsächlich. Die größten Hürden sind fehlende Endgeräte, die Sorge vor Fehldiagnosen und anhaltende Datenschutzbedenken. Sicherheitslücken bei IT-Anbietern haben das Vertrauen in den vergangenen Monaten zusätzlich belastet. Trotzdem ist für viele Menschen die Bequemlichkeit ein starkes Argument, vor allem wenn es um Folgerezept oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geht.

Politische Rahmenbedingungen

Zwar führte der Koalitionsbruch im Jahr 2024 zu politischen Unsicherheiten, doch zentrale Regelungen des Digital-Gesetzes sowie des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes wurden bereits vor dem Bruch verabschiedet. Die elektronische Patientenakte wird ab Januar 2025 verpflichtend eingeführt, und auch die Sekundärdatennutzung für Forschungszwecke ist gesetzlich geregelt. Die telemedizinischen Leistungen wurden rechtlich gestärkt und sind nun ein gleichwertiger Bestandteil der Regelversorgung. Zwar kann es bei nachgelagerten Verordnungen oder der praktischen Umsetzung zu Verzögerungen kommen, doch eine grundlegende Regelungslücke ab 2026 ist derzeit nicht absehbar. Dennoch fordern Teile der Opposition eine engmaschige Evaluation der digitalen Gesundheitsstrategie, bevor weitere Ausbauschritte erfolgen. Für Investoren und Leistungserbringer bleibt die langfristige Planungssicherheit daher ein zentrales Anliegen.

Fazit

Um das Potenzial der Videosprechstunde auszuschöpfen, braucht es eine ergebnisorientierte Vergütung, stabile Breitbandnetze und eine zuverlässige Telematik-Infrastruktur. Transparente Datenschutz-Zertifikate schaffen Vertrauen und Opt-in-Modelle für die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten sind unerlässlich. Hybride Versorgungskonzepte, bei denen Apotheken, Pflegekräfte oder Familienangehörige die digitale Konsultation unterstützen, machen Telemedizin zugänglicher für vulnerable Gruppen. Schließlich sollte die digitale Strategie in einen langfristigen Zukunftsfonds eingebettet werden, um auch politisch eine längerfristige Perspektive zu sichern. Nur so wird die Videosprechstunde vom Nischenangebot zum Stan-dard in der flächendeckenden Versorgung.

Autoren: Dr. Uwe Günther, Partner Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Geschäftsführer der Sanovis GmbH und Dr. Fiona Schürmann, Beraterin Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

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