Grenzen der Narkoseeinleitung
Der Beitrag befasst sich mit Frage, ob eine Narkose bereits eingeleitet werden darf, wenn der zuständige Operateur noch nicht anwesend ist. Erfolgt die Einleitung zu früh, kann dies für den Operateur selbst, aber auch für die Leitung des Krankenhauses sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtlichen Folgen haben. Der Versicherungsschutz entfällt und dem Operateur drohen zusätzlich berufsrechtliche Sanktionen. Eindeutige Vorgaben für Operateure sorgen für die nötige Klarheit.
Operationssäle müssen wirtschaftlich laufen. Also muss die zur Verfügung stehende Zeit im Saal optimal ausgenutzt werden. Wartezeiten sollen vermieden werden. Das führt oftmals dazu, dass bei Patienten schon einige Zeit vor dem Eintreffen des Operateurs Narkosen eingeleitet werden. Wenn der dann eintrifft, kann er sofort loslegen, weil er den Patienten bereits „fertig“ vorfindet. Was dem Operateur recht ist, ist dem Patienten aber noch lange nicht billig. Was, wenn der Operateur im Stau stecken bleibt oder wenn sich die Visite auf Station verzögert und er erst deutlich verspätet im OP eintrifft? Dann befindet sich der Patient in einer überlangen Narkose. Diese Konstellation wird von zahlreichen rechtlichen Fragestellungen begleitet, deren Beantwortung durchaus ernstzunehmende Konsequenzen aufzeigt.
Zunächst einmal hat der Patient nur eingewilligt, diejenige Narkose zu erhalten, die für den Eingriff erforderlich ist. Von einer weitergehenden mutmaßlichen Einwilligung, dass er auch dann eine Narkose wünscht, wenn der Operateur noch nicht anwesend ist, kann sicher nicht ausgegangen werden. Für die überlange Narkose fehlt es an einer medizinischen Indikation. Die vorzeitige Einleitung der Narkose stellt somit eine Sorgfaltspflichtverletzung dar.
Strafrechtlich betrachtet bedeutet die vorzeitige Einleitung der Narkose eine Körperverletzung. Folglich kann es zu strafrechtlichen Ermittlungen und in der Folge auch zu strafrechtlichen Sanktionen gegen den Operateur kommen. Daran schließt sich in der Regel eine eigenständige Prüfung der Ärztekammer an, um zu klären, inwieweit auch ein berufsrechtlicher Verstoß zu ahnden ist. Und auch die Krankenhausleitung kann in den Fokus der Staatsanwaltschaft geraten, wenn sie um die Umstände weiß oder wenn sie gar darauf hinwirkt, die OP-Kapazitäten über Gebühr zu nutzen. Dann steht der Vorwurf eines Organisationsverschuldens im Raum.
Darüber hinaus bestehen sehr erhebliche wirtschaftliche Risiken bei vorzeitiger Narkoseeinleitung. Denn regelmäßig entfällt in diesen Fällen der Versicherungsschutz. Versicherungsschutz ist vorgesehen für ärztliche Fehler, die im Rahmen anerkannter Heilbehandlungsmaßnahmen gleichwohl passieren können. Bei vorzeitiger Narkoseeinleitung liegt schon keine anerkannte Heilbehandlung vor. Zudem handelt es sich strafrechtlich um eine Körperverletzung. Wenn der Versicherer zu Recht nicht eintrittspflichtig ist, dann stellt sich die Frage der Haftung. Da der Patient den Heilbehandlungsvertrag mit dem Krankenhaus geschlossen hat, ist dies regelmäßig erster Ansprechpartner für den Patienten. Ebenso kann sich der Patient wegen der ihm widerfahrenen Körperverletzung an den Operateur wenden. Im Zweifel wird das Krankenhaus aber wirtschaftlich leistungsfähiger sein. Ein nachfolgender Streit zwischen Krankenhaus und Operateur ist vorprogrammiert.
Diese Folgen können nur vermieden werden, wenn es klare Regeln gibt, wie weit der Operateur entfernt sein darf, sodass die Anästhesie eingeleitet werden kann. Mit dieser Frage hat sich auch der Bundesgerichtshof schon befassen müssen. Er kam zu dem Schluss, dass es hinreichend sein soll, wenn mit der Anwesenheit des Operateurs bei Bedarf gerechnet werden könne. Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn sich der Operateur bereits im OP-Trakt befinde, z. B. in der Umkleideschleuse. Im Umkehrschluss ist es hingegen gerade nicht ausreichend, wenn sich der Operateur erst in der Anfahrt zum Krankenhaus oder noch auf Station befindet. Eine verantwortliche Krankenhausleitung ist also gut beraten, klar zu kommunizieren, wo die Grenze liegt, und gelegentlich zu prüfen, ob diese Grenze von den Anästhesisten auch beachtet wird.
Autor: Rechtsanwalt Volker Ettwig, Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte mbB
Erschienen in KU 6/2025
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